Süddeutsche Zeitung

Golfkrise:Europa schaut nur zu

Die europäischen Staaten müssen nach den Angriffen auf saudische Ölanlagen ihre bescheidenen Mittel einsetzen, um einer weiteren Eskalation am Golf entgegenzuwirken.

Kommentar von Daniel Brössler, Berlin

Vor drei Jahren präsentierte Federica Mogherini, die nun bald scheidende EU-Außenbeauftragte, eine "globale Strategie" für die Europäische Union. Dabei stellte sie dem Dokument ein paar Worte über jenes scheinbare Rätsel voran, das Europas Rolle in der Welt prägt. Mit fast einer halben Milliarde Bürger und einer Wirtschaftsmacht, mit der sich nur die USA und China messen können, verfüge die EU über ein "beispielloses Potenzial". Der EU gelinge es aber nicht, konstatierte die Italienerin in formvollendeter Untertreibung, dieses Potenzial "in vollem Umfang auszuschöpfen". Mit dem Anspruch, das zu ändern, trat in Frankreich Präsident Emmanuel Macron auf den Plan. Europa sollte souverän werden. Nun, während sie schockiert auf den Brand am Golf blicken, müssen die Europäer feststellen, dass sie diesem Ziel in den vergangenen Jahren keinen Schritt näher gekommen sind. Im Gegenteil.

Seit den Drohnenangriffen auf saudische Ölanlagen ist die Kriegsgefahr am Golf noch einmal drastisch gestiegen. Und wiewohl es ein Krieg wäre, der Sicherheit und Wohlstand in Europa dramatisch gefährdet, müssen sich die Europäer eingestehen: Ihre Möglichkeiten, Einfluss auf das Geschehen zu nehmen, sind minimal. Wie klein der Spielraum ist, zeigen schon die ehrenwerten, aber mitunter hilflosen Versuche, das Atomabkommen mit Iran zu retten. Die Europäer werden zerrieben zwischen der kopflosen Politik des maximalen Drucks von US-Präsident Donald Trump und dem unerfüllbaren Anspruch der Iraner, vor den Folgen der US-Sanktionspolitik in maximaler Weise bewahrt zu werden.

Europa hat - realistisch betrachtet - kaum Einfluss in dieser Krise

In der jetzt noch einmal drastisch zugespitzten Lage sitzen die Europäer, und hier besonders die Deutschen, zunächst einmal auf dem Platz des bangenden Zuschauers. Sie müssen hoffen, dass Saudi-Arabiens selbstherrlicher Prinz Mohammed bin Salman die Nerven bewahrt. Sie müssen hoffen, dass die iranischen Machthaber nicht immer weiter und weiter zündeln, weil sie glauben, dass sie einen zaudernden Trump nicht fürchten müssen. Vor allem aber müssen sie hoffen, dass ein heillos überforderter US-Präsident sich nicht immer tiefer in Widersprüche verstrickt und einem Krieg nähert, den er eigentlich nicht will. Auf alle diese Akteure können und sollten die Europäer einreden, auf keinen aber wird es viel Eindruck machen. Sich das klarzumachen, ist Realismus. Sich damit tatenlos abzufinden, wäre Fatalismus.

Selbstverständlich muss Europa nun also seine bescheidenen Mittel einsetzen, um einer weiteren Eskalation entgegenzuwirken. So unwahrscheinlich es ist, dass der französische Präsident Trump wirksam ins Gewissen reden kann, versuchen sollte er es. So wenig wahrscheinlich eine diplomatische Lösung ist, so sehr sollte Deutschland als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und mit seinen relativ guten Kontakten in alle Richtungen versuchen, zu einer Beruhigung beizutragen. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nun versichert, Deutschland werde immer auf Seiten der Deeskalation stehen, lässt das die Frage offen, wie es effektiv zu einer Deeskalation beitragen kann. Kurzfristig sicher nicht durch eine Aufhebung des Waffenembargos gegen Saudi-Arabien, wie es einige aus der Union fordern. Langfristig aber schwächt moralischer Rigorismus Deutschlands Einflussmöglichkeiten - und damit auch die Europas.

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SZ vom 18.09.2019/thba
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