Süddeutsche Zeitung

Golf-Region:Furcht und Versagen

Die Gefahr wächst, dass die USA und Iran quasi aus Versehen in den Krieg schlittern. Und Europa fehlt es an Macht und Einigkeit, etwas dagegen zu tun.

Von Daniel Brössler

An dem Tag, an dem der vielleicht entscheidende Funke flog, war Donald Trump mit der Verteidigung seiner selbst beschäftigt. Er stand in der Kritik, weil er freimütig Interesse an Informationen ausländischer Mächte über politische Gegner offenbart hatte. In einer Wortmeldung auf Twitter informierte er die Welt, wie vielen Staats- und Regierungschefs er wieder begegnet sei, als mache das die Sache besser. Als einen Gesprächspartner nannte er dabei den "Prince of Whales". Die Welt lachte.

Dabei ist es an der Zeit, sich zu fürchten. Nicht, weil die Vereinigten Staaten von einem Mann geführt werden, der noch so oft mit dem Prince of Wales dinieren kann, ohne zu wissen, wie dieser Landesteil des Vereinigten Königreichs geschrieben wird. Wohl aber, weil die deprimierende Bildungsferne, die maßlose Arroganz, die lächerliche Selbstverliebtheit und vor allem auch die aufreizende Verachtung für Fakten und Details des mächtigsten Mannes der Erde diese Erde zu einem noch gefährlicheren Ort machen, als sie es ohnehin schon ist.

Die Zuspitzung der Lage nach den Angriffen auf zwei Tanker im Golf von Oman führt das exemplarisch vor Augen. Sie ist ein Paradebeispiel für die Stationen auf dem Weg in einen Krieg aus Versehen. Was Trump anbelangt, so sind sich Freund wie Feind einig, dass er an einem militärischen Konflikt eigentlich kein Interesse hat. Sein Wunsch ist die Wiederwahl und kein Krieg, der zahlreiche US-Soldaten das Leben kosten und Unsummen an Dollar verschlingen würde. Das wissen auch die Iraner, und es spricht viel dafür, dass dies ihre Risikobereitschaft beängstigend erhöht.

Das von den USA vorgelegte Video mag kein Beweis sein. Doch wie schon nach ähnlichen Vorfällen vor einigen Wochen stehen die USA keineswegs allein, wenn sie Iran hinter den Angriffen und Sabotageakten vermuten. Die iranische Führung, von Trump durch machtvolle Sanktionen in die Ecke gedrängt, spricht von Wirtschaftskrieg und macht ein Verteidigungsrecht für sich geltend. Verdächtig ist zudem die Teheraner Mischung aus Unschuldsbeteuerungen und wüsten Drohungen. Iran kann kaum noch Öl exportieren und hält Erpressung offenbar für ein probates Mittel der Gegenwehr. Die Drohung, die wichtigste Ölroute der Welt zu blockieren, ist letztlich die Drohung mit einer Weltwirtschaftskrise. Sie auch nur anzudeuten, ist ein wahnwitziges Spiel mit dem Feuer. Der amerikanische Präsident mag keinen Krieg wollen, aber noch weniger kann er es sich erlauben, vorgeführt zu werden.

So befindet sich die Welt in einem Zustand größter Unsicherheit, in dem nur sicher ist, wie verhängnisvoll Untätigkeit wäre. Es reicht nicht, darauf zu vertrauen, dass die dünner werdenden Stimmen der Vernunft in Washington den Weg in Trumps Ohr und Hirn finden. Schon gar nicht genügt es, auf den Selbsterhaltungstrieb des Regimes in Teheran zu setzen und darauf, dass dort die Furcht vor einem Krieg, der zur eigenen Zerstörung führt, groß genug ist.

Schon deshalb war es richtig, dass der deutsche Außenminister Heiko Maas gerade nach Iran gereist ist, um die Machthaber vor einer Verletzung des Atomabkommens zu warnen, aus dem Trump vor einem Jahr ausgestiegen ist. Maas versuchte klarzumachen, dass eine Uran-Anreicherung über das nach dem Abkommen zulässige Maß hinaus dazu führt, dass auch die Europäer Sanktionen verhängen. Ebenso richtig war der Versuch des japanischen Premierministers Shinzō Abe, in Teheran Gesprächsbereitschaft mit den USA auszuloten. Richtig ist aber auch, dass beide nach Lage der Dinge gescheitert sind.

Das ist insofern bezeichnend, als Deutschland und Japan wichtige Säulen der von Maas erträumten Allianz der Multilateralisten sein sollen. Dieser Bund der Kooperationswilligen und Regeltreuen ist eine honorige Idee, aber bisher stellt er eben nicht viel mehr dar als einen Pakt der Ohnmacht. Der Takt der Weltpolitik wird in zunehmendem Maße bestimmt von der Rivalität der Großmächte. Weltpolitisch wie militärisch zählt kein Staat der Europäischen Union zu dieser Kategorie - und die EU als Ganzes schon gar nicht. Beim Versuch, die Krise am Golf einzudämmen, wird es deshalb nun auch wesentlich auf China und Russland ankommen. Beide sind Vertragspartner des Atomabkommens, und vor allem China könnte - wenn es wollte - deutlich mehr gegen die wirtschaftliche Not Irans tun als die Europäer.

Der laufende Konflikt zeigt so noch einmal in brutaler Härte, was die Europäer längst wissen. Ihnen fehlt es an politischer Einigkeit, aber auch an den Instrumenten, um entscheidenden Einfluss zu nehmen. Weder sind sie in der Lage, zum Schutz des Atomabkommens den gegen Iran verhängten US-Sanktionen ernsthaft etwas entgegenzusetzen. Der im Aufbau befindliche, von den USA unabhängige Zahlungskanal Instex kann die riesigen Verluste Irans nicht ausgleichen und wird, sollte er überhaupt in Betrieb gehen, nicht viel mehr sein als ein Symbol.

Auch verfügt Europa nicht über die Mittel, um glaubwürdigen Druck auf ein iranisches Regime auszuüben, das in Nahost und Europa den Terrorpaten gibt, mit seinem Raketenprogramm den Frieden bedroht und von der Auslöschung Israels fantasiert. Europa müsse Subjekt der Weltpolitik sein, nicht Objekt, hat Außenminister Maas gesagt. Aber mehr als ein schöner Wunsch ist das eben bisher nicht.

So sieht die Lage aus, ein Jahr nachdem Trump planlos aus dem mühsam ausgehandelten Atomabkommen mit Iran ausgestiegen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass Iran wieder zum Griff nach der Atombombe ausholt, ist ebenso gestiegen wie die Kriegsgefahr in der Region. Nun kommt es auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten an. Er müsste jetzt besonnen handeln, die Folgen jedes Schrittes kühl kalkulieren. Das Problem ist: Dieser Präsident heißt Donald Trump.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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