Streit um Glyphosat-Zulassung:Wie Lobbyisten Ministerien und Kanzleramt bearbeiteten

Landwirtschaft in der EU

Spuren hinterlassen: Ein Landwirt sprüht Pestizide auf sein Feld im brandenburgischen Prenzlau.

(Foto: Sean Gallup/Getty)
  • Ende 2017 winkte Landwirtschaftsminister Schmidt (CSU) die EU-weite Verlängerung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat als Vertreter Deutschlands durch.
  • Seine Kollegin aus dem Umweltministerium, Hendricks (SPD), war dagegen. Deutschland hätte sich wegen des Streits in der Regierung eigentlich enthalten müssen.
  • Akten aus beiden Ministerien geben einen tiefen Einblick, wie Lobbygruppen den Streit um Glyphosat zu beeinflussen versuchten.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Dem Ansehen von Glyphosat drohte Schlimmes. Als die SPD in ihrer Parteizentrale im Herbst 2017 eine Fotoausstellung ankündigte, schrillten bei Lobbyisten in Berlin die Alarmglocken. Bilder des Fotografen Pablo E. Piovano sollten Folgen des Pestizids in Argentinien dokumentieren. Zu sehen: Missbildungen, kranke Körper von Landarbeitern und Kindern. Ihr Leid wurde auch Glyphosat zugeschrieben.

Der Deutsche Bauernverband reagierte giftig. Die Umweltministerin sollte auch noch die Eröffnungsrede zur Ausstellung "Landwirtschaft der Gifte. Ihr Preis für den Menschen" halten. Mit Interesse, aber "auch mit etwas Verwunderung" habe man die Ankündigung gelesen, schrieb Vizegeneralsekretär Udo Hemmerling an die Veranstalter. Argentinien sei nicht Europa. Hemmerling verlangte ein klärendes Gespräch - und zwar vor der Eröffnung.

Dass sich der Deutsche Bauernverband so intensiv um Kunstausstellungen im Willy-Brandt-Haus kümmert, kommt selten vor. Aber so ist die Stimmung im Herbst 2017. Konzerne, Verbände und Lobbyfirmen fühlen sich in der Defensive. Der öffentliche Druck gegen den Stoff, der im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen, wächst. Die Süddeutsche Zeitung hat Einblick in die Akten der Ministerien genommen, die sich seinerzeit über Glyphosat stritten, im Umweltministerium von Barbara Hendricks (SPD), aber auch beim Landwirtschaftsministerium von CSU-Mann Christian Schmidt und im Kanzleramt. Es sind Einblicke in die Lobbyarbeit im Zentrum der Macht. Denn in der Causa Glyphosat geht es um viel: um einen Milliardenmarkt, aber auch um die künftige Ausrichtung der Landwirtschaft. Und um die Frage, wer stärker ist: die Industrie oder die Umweltbewegung.

Berlin wird zum zentralen Schauplatz des Streits

Kern der Auseinandersetzung ist die erneute Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat. Die EU-Kommission ist dafür, doch im Kreis der Mitgliedstaaten findet sich keine Mehrheit - einige Staaten sind dafür, andere dagegen. Mittendrin steht Deutschland, wo Umwelt- und Landwirtschaftsministerium streiten. Wenn sich eine Bundesregierung nicht einigen kann, enthält sie sich - die Mehrheit für eine Verlängerung wäre futsch. So wird Berlin zum zentralen Schauplatz des Streits.

Um Früchte zu ernten, müssen auch Lobbyisten eine Saat ausbringen. Beackert werden nicht nur Minister, sondern auch Beamte des Regierungsapparats. Im Mai 2017 etwa nimmt die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat per Brief mit zwei Kanzleramtsbeamten Kontakt auf. Man fürchte, "dass die kommenden Monate von bestimmten Interessengruppen genutzt werden könnten, um Angst und Verwirrung in der Bevölkerung zu stiften", heißt es darin. Eine Reihe von Saatgut- und Chemiekonzernen hatte die AG gegründet, geführt wird sie von einer Darmstädter PR-Firma.

In einer ersten Welle geht es darum, sich in der Regierung als Opfer zu präsentieren. Lobbyismus stellen die versierten PR-Strategen der AG als Sache der anderen dar. Man sei darauf angewiesen, "dass Entscheidungsträger wie Sie, die in verantwortlicher Position stehen, sich nicht von Partikularinteressen vereinnahmen lassen, sondern das gesellschaftliche Allgemeinwohl im Blick behalten", erfahren die Kanzleramtsbeamten, und nahezu wortgleich Staatssekretäre des Agrarministeriums. Schon jetzt wolle man sich "für Ihren professionellen Umgang" bedanken. Schließlich vertraue die Arbeitsgemeinschaft ganz "auf Ihre Kompetenz und Ihr politisches Gespür in dieser Debatte".

Der Raiffeisen-Verband appelliert an Hendricks

Nicht immer ist der Ton so galant. Mitte Oktober 2017 wendet sich der Industrieverband Agrar an Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Sollte die EU sich auf keine Verlängerung einigen können, obwohl viele Behörden darin kein Problem sähen, sei dies "ein Präzedenzfall mit weitreichenden, gravierenden Folgen: Unterschriftsaktionen" könnten dann Behördenentscheidungen zunehmend ersetzen. Sollte die Regierung nicht gegenhalten, "müsste man auch die Existenz dieser Bundesbehörden stark in Zweifel ziehen". Der Raiffeisen-Verband appelliert an Hendricks, ihre "Vorbehalte noch einmal zu überdenken". Die chemische Industrie nennt die Haltung der Ministerin "nicht nachvollziehbar", und das Landvolk in Hannover lässt die Kanzlerin wissen, dass sich die Landwirte von der CDU "aufgegeben" fühlten.

Besonders intensiv beackert das Feld Monsanto, mit seinem Glyphosat "Roundup" führend bei der chemischen Unkrautvernichtung. Deutschland könne sich ein Patt "als Leitland für das Verfahren" nicht leisten, warnt Monsanto im Namen der AG Glyphosat in einem Brief an Altmaier. In einem anderen nennt das Unternehmen, das heute zum Bayer-Konzern gehört, eine Zulassung für weitere 15 Jahre eine "Pflicht".

"Solcher Lobbyismus ist im politischen System vorgesehen und völlig legitim", sagt Lars Rademacher, PR-Professor aus Darmstadt. Die Unternehmen böten ja nur ihre Expertise an. Die Politik entscheide, ob sie den Rat annehme. Auch der Bauernverband sieht sich bei der Kritik an der Ausstellung im Recht. In Argentinien würden teils 20-mal höhere Glyphosat-Dosen verwendet, sagt Generalsekretär Bernhard Krüsken. Daher könne man - wie mit den Fotos - keinen Vergleich mit Europa ziehen. Lobbykritische Organisationen wie Lobbycontrol widersprechen. Die Unternehmen befänden sich im Zulassungsprozess solcher Stoffe in einem Interessenkonflikt. Unabhängige Expertise sei da kaum zu erwarten.

Umweltverbände wenden sich an die Bundesregierung

Im Streit für Glyphosat war auch die andere Seite aktiv, die der Gegner. Umweltverbände wenden sich an die Bundesregierung, die Falkner, Ärzte, Landräte. Eine Münchner Biomarkt-Kette äußert in einem Brief "große Bewunderung" für Hendricks: "Bleiben Sie standhaft!" Doch in der Flut der Glyphosat-Post verlieren sich die Briefe. Auch solche, die vor zu niedrigen Grenzwerten für Babynahrung oder zu hohen Dosen in Bienenhonig warnen.

Zudem sind aus den Reihen der Glyphosat-Gegner keine Dossiers überliefert, wie sie eifrige PR-Leute für Monsanto fertigten. Hendricks sollte "durch andere SPD-Mitglieder, so hochrangig wie möglich", bekehrt werden. Für den SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch ist die Aufgabe vorgesehen, auf die SPD-Fraktion einzuwirken, damit "die SPD-Mitglieder der Bundesregierung zu Gunsten von Glyphosat abstimmen". Dabei ist Miersch selbst ein Gegner. Am Ende aber kommt es auf die SPD nicht mehr an. Der CSU-Minister Schmidt winkt die Glyphosat-Verlängerung Ende 2017 im Alleingang durch - gegen alle Gepflogenheiten. So geht die Saat doch noch auf.

Zu Ende ist das Lobbying damit nicht. Die neue EU-Genehmigung läuft 2022 aus. Ein Sprecher von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) erklärte am Dienstag zwar, es gebe wohl nach 2022 keine Mehrheit mehr in der EU für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung. Ziel sei es, "Glyphosat letztlich überflüssig zu machen, sodass nach Auslaufen der Zulassung in der EU einem Komplettausstieg nichts im Wege steht". Beim Bauernverband sieht man das allerdings anders. Ackerbauern brauchten auch weiter die Möglichkeit, Glyphosat einzusetzen, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied kürzlich. Auch eine Verlängerung auf EU-Ebene hält Rukwied für möglich. Mehrere EU-Länder machten sich bereits dafür stark. Die nächste Saat wird gerade ausgebracht.

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