Glücksökonomie:Die Überwindung des Wachstums
Lesezeit: 3 Min.
Annette Jensen und Ute Scheub plädieren für Altruismus und mehr Kooperation. Aber wie soll das angesichts ewiger Konkurrenz funktionieren?
Von Felix Ekardt
Die Fixierung auf Wirtschaftswachstum und egoistisches Konkurrenzdenken wird von vielen - mal zustimmend, mal kritisch - als prägendes Merkmal einer globalisierten Welt erlebt. Die Journalistinnen Annette Jensen und Ute Scheub haben nun ein Manifest verfasst, das für eine Alternative wirbt, nämlich für eine "Glücksökonomie" ohne Wachstum. Zugleich werben sie für ein neues Menschenbild, wobei sie sich unausgesprochen im Gefolge von Karl Marx und Jean-Jacques Rousseau bewegen.
Der Mensch sei, so Jensen und Scheub, an sich kein Egoist, sondern werde in der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft erst dazu gemacht. Wir alle wären glücklicher, wenn wir uns im Wesentlichen kooperativ und altruistisch verhalten würden und die gesellschaftlichen Umstände uns vom Konkurrenzdruck befreien würden. In jedem Fall würden Wachstum und Reichtum nicht glücklicher, sondern geradewegs unglücklich machen. Jensen und Scheub plädieren deshalb für einen ökonomischen Übergang zu kleinräumigen, dezentralen und wenig oder gar nicht auf Gewinn ausgerichteten Unternehmensstrukturen mit weniger gehetzten Beschäftigten. Das Ganze führe zudem zu mehr Umweltschutz, der von der Wachstumsgesellschaft vereitelt werde.
Den Autorinnen könnte eine Art Bibel für linksalternative Kreise gelungen sein
Den Autorinnen könnte damit eine Art Bibel für linksalternative, kapitalismuskritische Kreise gelungen sein. Sie versuchen, ihre Thesen sorgfältig zu belegen, indem sie die jahrzehntelangen Befragungen der Glücksforschung breit zitieren und auch sonst vielerlei Befragungen und Beobachtungen zusammentragen. Anregend sind die vielen Einzelbeispiele kleiner Unternehmen, die stärker arbeitnehmer- und umweltfreundlich zu produzieren versuchen.
Richtig ist, dass ewiges Wachstum ökologisch auf einem endlichen Planeten nicht möglich ist. Dass die im Buch vorgeschlagenen kleinräumigeren Wirtschaftskreisläufe ökologischer sind, stimmt indes nicht immer. Massenproduktion kann verheerend sein, sie kann etwa beim Transport aber auch ökologische Effizienzvorteile bieten. Umweltschutz ist übrigens nicht nur Klimaschutz, wie es sich bei Jensen und Scheub manchmal liest. Und die lobend erwähnten skandinavischen Länder sind mit ihren vielfliegenden, überwiegend in schlecht gedämmten Gebäuden wohnenden Einwohnern ganz sicher keine ökologischen Musterknaben.
Auch dass Reichtum unglücklich macht, belegt die Glücksforschung nicht. Sie zeigt vielleicht, dass wir vor allem auf andere schauen. Glücklich macht also das Mithalten mit anderen und nicht der Malaysia-Urlaub an sich. Doch wenn Leute im Verhältnis zu ihrer Umgebung mehr haben, steigen auch die Glückswerte häufig. Der statistische Anstieg psychischer Erkrankungen in den letzten Jahren muss ebenfalls nicht zwingend allein an der Konkurrenzgesellschaft liegen. Früher ging man, wenn man traurig war, zu Freunden, heute diagnostiziert man eine Depression und gibt Tabletten. Zu einfach machen es sich Jensen und Scheub, wenn sie meinen, weniger Arbeit und mehr Zeit für Freunde, Familie, Hobbys würden Menschen per se glücklicher machen. Das stimmt für manchen, aber wohl kaum für jeden.
Zu einfach machen es sich die Autorinnen auch, wenn sie aus Umfragen zitieren, die angeblich den Wunsch nach einer ausschließlich kooperativen Welt und die privaten Dinge als wahres Glück belegen. Es ist altbekannt, dass man in Befragungen für alles und jedes Zustimmung erzielen kann. Mehr Zeit für die Familie kann man sich schön vorstellen, die Ambivalenzen übersieht man jedoch schnell, solange es eine rein theoretische Überlegung ist. Altbekannt ist, dass die realen Präferenzen von Menschen weit deutlicher zutage treten, wenn man ihr Verhalten und nicht ihre Äußerungen betrachtet.
Vor allem verkennen Jensen und Scheub die an sich simple Einsicht, dass der Mensch dem Tierreich entstammt - und dass Konkurrenz um die überlebenstauglichsten Eigenschaften uns geprägt hat. Auch die menschliche Kooperationsneigung hat dort wohl ihre Ursache: Gruppen, deren Mitglieder kooperierten, seien, so die Soziobiologen, menschheitsgeschichtlich schlicht erfolgreicher gewesen. Deswegen klappt Kooperation oft in Kleingruppen wie Familien, und auch das nicht immer. Und gar nicht klappt sie, wenn weltweit das Klima gerettet werden soll.
Übrigens dürfte sich das heutige Wohlstandsniveau maßgeblich dem Wettbewerb um beste Lösungen und nicht allein der Kooperation verdanken. So wie überhaupt die Konkurrenzwelt nicht allein von Großunternehmen getrieben wird. Wir alle sind über Arbeitsplätze, Konsumwünsche oder Pensionsfonds, die über Aktienpakete Eigentümer der Unternehmen sind, aufs Engste mit der Wachstumswelt verflochten. Allein schon aus ökologischen Gründen werden wir diese Welt zwar dennoch überwinden müssen. Doch wird das nicht kostenlos sein. Und auch die Konzepte für Arbeitsmärkte oder Rentenversicherungen für eine Postwachstumswelt müssen, über einzelne gute Ideen wie die Arbeitszeitverkürzung hinaus, erst noch weiter entwickelt werden.
Wendet man all das positiv, kann man sagen: Jensen und Scheub haben ein anregendes Buch geschrieben, mit dem sich die Auseinandersetzung lohnt.
Annette Jensen, Ute Scheub: Glücksökonomie: Wer teilt, hat mehr vom Leben. Oekom Verlag, 2014. 315 Seiten, 19,95 Euro.
Felix Ekardt leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin; er lehrt an der Uni Rostock.