(SZ) Ist das nicht eine hinreißende Idee: eine Lotterie, bei der junge Männer die Mitgliedschaft in einer Armee gewinnen können, und zwar nicht in irgendeiner, sondern in der ruhmreichen Bundeswehr? Man weiß gar nicht, welcher Teufel den Verteidigungsminister Pistorius reitet, dem Losverfahren so leidenschaftlich zu misstrauen, als wäre es eine Erfindung der Jungen Union. Nun ja, der Mann ist Sozialdemokrat, als solcher kennt er die Bibel vielleicht nicht gut genug, um zu wissen, dass der Losentscheid bereits in alttestamentlichen Zeiten als Patentrezept in heiklen Angelegenheiten galt. Das Volk Israel kürte seinen ersten König per Los, es gewann ein gewisser Saul. Der nahm ein unrühmliches Ende, ganz ausgereift war die Königslotterie noch nicht. Auch im antiken Athen vertraute man dem Los, wenn es galt, Richter oder Beamte zu bestimmen. Ebenso hielten es die alten Römer bei der Wahl der Vestalinnen – ein Mann mit Namen Pistorius sollte das eigentlich wissen. Unvergesslich schließlich der „Münzwurf von Rotterdam“, mit dem am 24. März 1965 das Europapokal-Viertelfinale zwischen Liverpool und dem 1. FC Köln entschieden wurde: Die Münze fiel beim Wiederholungswurf auf die falsche Seite, die Kölner waren draußen. Gott ist gerecht, der Fußballgott nicht.
Apropos: Gerechtigkeit ist auch das Stichwort, mit dem die Freunde der Wehrdienst-Lotterie argumentieren. Weder Geldbeutel noch Begabung oder Beziehungen entscheiden, wer eine Karriere als Oberstabsgefreiter machen darf, sondern allein der von Natur aus unparteiische Zufall. Aber stimmt das denn? Lehrt die Erfahrung nicht etwas ganz anderes? Jeder, der bei einer Jahrmarktstombola schon mal ein Los kaufte, weiß: Den Hauptgewinn, den süßen Teddybären von der Größe eines lebenden Grizzlys, kriegen immer die anderen – oder genauer gesagt: Immer ist es der Heinz aus der Schlossallee, der das große Los zieht. Heinz siegt beim „Mensch ärgere Dich nicht“, Heinz hat drei Sechser im Lotto, Heinz sprengt beim Roulette die Bank, und hätte Heinz 1965 beim 1. FC Köln gespielt, wäre Liverpool ausgeschieden. Der Zufall sucht sich immer dieselben aus, und wenn doch mal ein anderer gewinnt, ist es reines Glück.
Sollte es eines Tages dennoch zur Barras-Lotterie kommen, dann bitteschön im würdigen Stil. Eine TV-Show mit Stefan Raab käme infrage, in der ein Prominenter, Heino zum Beispiel oder Lothar Matthäus, die Lose zieht, und Heidi Klum die Siegernamen verkündet. Was aber, wenn da einige darunter sind, die ihres Sieges nicht froh werden, weil sie gar nicht zum Militär wollen? Junge Männer, die – unwahrscheinlich zwar – Wolf Biermanns Soldaten-Lied kennen, in dem es heißt: „Soldaten sehn sich alle gleich, lebendig und als Leich.“ Alles würden sie geben, sogar ihr Handy, wenn ihr Los eine Niete wäre. Und dann ist es wie immer: Die Niete zieht der Heinz.