GlosseDas Streiflicht

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Werner Herzog ist jetzt auf Instagram, und wir wissen nicht, ob wir ihn dafür bedauern oder bewundern sollen.

(SZ) Werner Herzog ist auf Instagram. In echt jetzt, nicht in einem seiner Filme. Das ist insofern bemerkenswert, als er endlich all das tun kann, was ein Leben lebenswert macht. Vor Herzog, der Mann ist 83 und hat in einem Dokumentarfilm immerhin mal seine Schuhe gegessen, liegt theoretisch eine ganze Welt. Es ist fast so, als hätte jemand niemals die Sonne gesehen und verließe nun den Keller ohne Glasfaserkabel. Als hätte er noch nie eine Zeile gelesen und stünde in der Bibliothek des Trinity College. Als wisse er nicht, wie dieser sagenumwobene Zucker schmeckt und bekommt von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ein Tiramisu in der Größe eines Hallenbads überreicht.

Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, hat Herzog jedoch kein eigenes Smartphone. „Technisch macht es mein Sohn. Ich liefere ihm den Inhalt“, sagte er, die Clips schicke er ihm per Mail. So geht das los, erst mal die Kinder machen lassen, nur gelegentlich mal schauen, wie sich die Einschaltquoten entwickeln. Diese Logik ist Handysüchtigen hinlänglich bekannt: Bloß wegen der Whatsappgruppe mit den anderen Helikoptereltern habe ich mich an diesen bösen Ort verirrt. Nur wegen eines rätselhaften Typs bin ich auf Tinder gefangen. Die Wetterapp, sie sah so harmlos aus, stellte sich erst später als das Heroin unter den vorinstallierten Programmen heraus. Nur ein wenig Instagram also, ganz unschuldig, per Mail. Da fällt einem Cat Stevens’ Song „The First Cut Is The Deepest“ von 1967 ein. Sicher, Stevens war damals etwas melodramatisch gestimmt und hatte mehr Liebeskummer im Sinn als in der Zukunft liegende technologische Errungenschaften – sein Refrain sagt aber alles, was man über die digitale Gegenwart wissen muss: Der erste Schnitt ist der tiefste. Danach kommt nur noch bedeutungsloses Gemetzel.

Während Werner Herzog gerade mutmaßlich die Zeit seines Lebens hat und den Sohn anweist, Reinhold Messner, Pedro Pascal und Nicole Kidman hinzuzufügen, ist der Rest der Öffentlichkeit eher düster gestimmt, heillos verstrickt in Verzichtsdiskurs und Handyscham. Ärgert sich über die eigenen 7,2 Stunden Bildschirmzeit und nimmt den Kindern das Handy weg, reine Ersatzhandlung. Gibt es ihnen dann wieder, weil sie ungewohnt viel reden und wissen wollen (soll Peppa Wutz erklären). Färbt den Bildschirm schwarz-weiß ein, was suchtlindernd und beruhigend wirken soll. Sperrt das Mobiltelefon in einen Safe. Kündigt auf Whatsapp ein whatsappfreies Wochenende an, es wird am frühen Samstagnachmittag enden. Und fragt sich: Was würde Werner Herzog jetzt tun – dopamindetoxen oder hemmungslos genießen? Vermutlich hat Herzog in der Zwischenzeit sein eigenes Large Language Model entwickelt: Erklär mir bitte mit dem Vokabular von Klaus Kinski, was eigentlich los ist mit diesen jungen Leuten!

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