(SZ) Wer denkt, im Neuen Testament gehe es nur um Nächstenliebe, Frieden, das Hinhalten der anderen Wange und Ähnliches, hat die Thessalonicher-Briefe des Apostels Paulus nicht gelesen. Im ersten Brief sagt er, über diejenigen, die von „Frieden und Sicherheit“ reden, werde Verderben kommen „wie Wehen über eine schwangere Frau“. Der zweite beschreibt detailliert die Vorzeichen des Jüngsten Gerichts. Eins davon sei der Auftritt des Antichrist, der „seinen Thron im Tempel Gottes aufstellen“ und behaupten werde, er sei selbst Gott. Außerdem werde er das Ende der Welt verkünden, das aber, so Paulus, erst später kommen werde. Ein bisschen kompliziert, okay. Unkompliziert sollte es hingegen sein, einen derart lautsprecherischen Antichrist zu erkennen. Solange sich niemand einen Thron in den Kölner Dom stellt und dauernd „Das Ende ist nahe!“ schreit, müssten wir noch ein bisschen Zeit haben bis zum Tag des Herrn.
Aber so einfach ist das natürlich nicht mit der eschatologischen Exegese. Wenden wir uns daher einem Fachmann zu, dem deutsch-amerikanischen Tech-Bro, paläolibertären Demokratiegegner und passionierten Hobbytheologen Peter Thiel. Der hat sich in einer Reihe von Vorlesungen über den Antichrist geäußert. Was der Antichrist nach Thiels Ansicht vor allem will – und das hätte womöglich sogar den heiligen Paulus überrascht -, ist die staatliche Regulierung von künstlicher Intelligenz. Mindestens so sehr wie an Jesus glaubt Thiel nämlich an die entfesselte Technik als Antwort auf alle irdischen Probleme. Diejenigen, die vor den Gefahren technischer Entwicklung warnen und regulatorisch eingreifen wollen, tun mithin die Arbeit des Antichrist. Der Antichrist, das könnten die Vereinten Nationen sein, die ja auch immer von Frieden und Sicherheit reden und sich folglich auf das geopolitische Äquivalent zu Presswehen gefasst machen müssen. Aber auch Greta Thunberg zieht Thiel als Antichrist in Betracht. Die nervt ja auch wirklich, obwohl sie bisher noch nicht behauptet hat, Gott zu sein.
Es ist Peter Thiel so ernst, dass er sogar nach Tirol gereist ist, um mit den katholischen Theologen und Endzeit-Spezialisten der Universität Innsbruck über seine Thesen zu debattieren. Besagte Theologen, das sei hier aufs Gröbste verkürzend erwähnt, halten diese Thesen für Quatsch. Aber nehmen wir mal an, er hätte recht. Sollte man dann nicht im Umkehrschluss so viel unregulierte KI benutzen wie möglich, um dem Antichrist zu widerstehen? Wäre die Abfassung einer Glosse wie der vorliegenden ganz ohne Zuhilfenahme von Chatbot-Prompts nicht nachgerade diabolisch? Bevor wir uns darüber Sorgen machen, müsste Peter Thiel allerdings die Frage beantworten, wieso er eigentlich den biblischen Prophezeiungen so viel Bedeutung beimisst. Die wurden, soweit bekannt, ganz ohne Chat-GPT geschrieben.