GlosseDas Streiflicht

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Es wird Zeit, eine Lanze für Friedrich Merz zu brechen, denn der Kanzler verbreitet nicht nur Zuversicht, sondern stellt sogar eine fünfte Jahreszeit in Aussicht.

(SZ) Die Bild-Zeitung hat kürzlich eine traurige Nachricht verbreitet. Nun kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass die Bild-Zeitung für sich genommen eine traurige Nachricht sei, aber die Schlagzeile „Maschine ersetzt Deutschlands letzten Bierflaschen-Zudrücker“ dürfte nun wirklich niemanden unberührt zurücklassen. Das 21. Jahrhundert ist zwar noch keine drei Jahrzehnte alt, setzt aber schon jetzt Maßstäbe in Sachen Nostalgieverachtung und Nüchternheit. Wer behauptet, solange es noch Bieröffner gebe, seien Hopfen und Malz nicht verloren, wird sich noch wundern. Anders als im Fall des abservierten Bierflaschen-Zudrückers werden nicht noch einmal 15 Millionen Flaschen und 28 Jahre vergehen, bis der künstlich intelligente Kühlschrank schon die Annahme einer Bierflasche verweigert.

Vor dieser betrüblichen Kulisse ist es hocherfreulich, dass wenigstens der Bundeskanzler diese Woche ein wenig Zuversicht verbreiten konnte. Eben noch dachte man, siehe oben, alles gehe unweigerlich dahin, da rückte auch schon Friedrich Merz diesen Eindruck wieder gerade und verkündete im Bundestag: Nein, nein, alles geht sogar immer weiter! Ausgangspunkt seiner Erbauungsrhetorik war Merz’ „Herbst der Reformen“, der, so sagt es der Kanzler, längst im Gange sei. Und: Besagter Herbst werde eben nicht die letzte Jahreszeit sein, „in der wir das Land zum Besseren verändern“. Es würden sich vielmehr „ein Winter, ein Frühling, ein Sommer und ein nächster Herbst anschließen“, mit Reformen. Das sind natürlich ganz ausgezeichnete Neuigkeiten, vor allem für den Kanzler selbst. Nur sechzehn Abreißkalender nach seinem Abgang aus der Politik mag ihn manch ein unangenehm ehrgeiziger CDU-Jungspund für einen Mann im Herbst seines Lebens halten. Merz aber summt dann einfach hinten in der Kanzler-Limousine den Rolf-Zuckowski-Klassiker: „Immer wieder kommt ein neuer Frühling / Immer wieder kommt ein neuer Merz.“

In Unionskreisen wird dem Vernehmen nach bereits über gesetzliche Haltelinien für die Jahreszeiten nachgedacht. Vom früheren CDU-Chef Armin Laschet heißt es, er sei in diesem Zusammenhang in der Fraktionssitzung mit Narrenkappe erschienen, um seiner Forderung Ausdruck zu verleihen, doch bitte schön die fünfte Jahreszeit nicht zu vergessen. Merz soll daraufhin irritiert gefragt haben, seit wann man denn beim Schützenfest so eine Mütze trage. Am Ende wurde der Vorstoß aber ohnehin abgelehnt. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hatte gewarnt, manch einer könnte bei der fünften Jahreszeit an Kurt Tucholsky denken. Und so schön es auch sei, „wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat“: nur „so vier, so acht Tage“ und „eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre“ – das reiche ja nur für ein paar Reförmchen.

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