GlosseDas Streiflicht

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In der Welt ist es inzwischen so ungemütlich geworden, dass manche sich nach anderen Wohnorten umsehen. Aber wo könnten die sein?

(SZ) Als die ehedem heitere Kunststadt München in den 1920er-Jahren zum Aufmarschplatz rechtsextremistischer Aktivisten verkam, machten sich viele der dort lebenden Künstler auf und davon. Lion Feuchtwanger, Schriftsteller aus jüdischem Hause, flüchtete ebenso wie Heinrich Mann oder der junge Bert Brecht nach Berlin, wo es kulturell und in sündenbabylonischer Hinsicht auf erfreulichste Weise hoch herging. Brecht schickte den Münchnern noch einen Gruß hinterher, manche haben ihm bis heute nicht verziehen, dass er damals die Wahrheit sagte: „In der Stadt kann man sich nicht umdrehen und die Leute sind so dumm, dass man so viel Humor braucht, dass man schlechter Laune wird.“ Doch auch Berlin war nach Hitlers Machtübernahme kein sicherer Ort mehr für Menschen, die links waren oder jüdisch oder sonst wie ins Feindbild der Nazis passten. Wer konnte, packte die Koffer, oft war Frankreich das Ziel. Als die Wehrmacht große Teile des Landes besetzte, waren die Emigranten wieder in Lebensgefahr. Wohin jetzt? In den USA wäre man vielleicht sicher. Doch nicht alle durften einreisen. Brecht, Feuchtwanger und Heinrich Mann schafften es.

Es gibt gute Gründe, vor einem Regime zu fliehen – auch in unseren Tagen, in denen Geflüchtete nicht nur von AfD-Politikern als gefährliche Eindringlinge gebrandmarkt werden, die es unbedingt abzuwehren gilt. Manchmal aber kommen Fluchtgedanken aus einer Ecke, in der man Vertrauen in die unerschütterliche Grundgüte der Heimat vermutet hätte. Soeben hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff in einem Bild-Interview gesagt: „Wenn die AfD zur Macht käme, dann wäre für mich wirklich die Grundsatzüberlegung, ob ich nach 72 Jahren meine Heimat verlassen würde.“ Vermutlich wäre er nicht der Einzige, der sich die „unerträgliche Atmosphäre“ noch antun wollte, doch auch hier bleibt die Frage: Wohin? In die Nachbarländer Sachsen und Thüringen? In diesen müsste Haseloff mit sofortiger Abschiebung rechnen, und ob Markus Söder einem ostdeutschen Ministerpräsidenten, noch dazu von der suspekten CDU, Asyl gewährte, wäre äußerst fraglich.

Aber ist das nicht das Problem von allen, die dem Traum einer friedlich vereinten Menschheit anhängen? Weltweit bringen Kriegsherren ihre Waffen in Stellung, kein Morgen ohne neue Horrornachrichten. Man möchte auswandern, weit weg auf eine einsame Insel im Ozean. Aber was, wenn an ihren Gestaden eine Kriegsflotte auftaucht? Oder wenn sie in den Fluten des überhitzten Meeres versinkt? Früher galt der Mars als passabler Zufluchtsort. Kleine grüne Männchen und Kanäle wie in Venedig – da könnte man’s aushalten. Demnächst wird Elon Musk dort eine Kettensägen-Filiale eröffnen, das war’s dann mit dem Mars. Bleibt also nur, es wie Douglas Adams zu machen: Per Anhalter durch die Galaxis.

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