(SZ) Es mag sein, dass es im Angesicht der aktuellen Weltlage wenig Anlass zu Zuversicht und guter Laune gibt. Andererseits muss das Leben trotz Krieg, Klima und Trump-Paraden irgendwie weitergehen. Und sei es nur auf Instagram, wo man zwischen alten Männern, die bewährte Zwischengerichte aus den Fünfzigerjahren zubereiten, und alten Frauen, die von der Liebe singen und dazu tanzen, wählen kann. Manchmal erklären sie uns Jüngeren, was genau man zu tun hat, wenn man so alt werden möchte wie sie. Früher haben Hundertjährige, wenn sie nach dem Geheimrezept ihres langen Lebens gefragt wurden, auf ungesunde, gleichwohl sympathische Gewohnheiten verwiesen. Jeden Abend einen Wacholderschnaps, täglich eine Tafel Schokolade und nicht heiraten. Derartige Augenzwinkereien waren gern gesehen, denn sie zeigten ja, dass man trotz oder vielleicht wegen kleiner Sünden ein schönes Alter erreichen konnte.
Heute würde kaum ein Hundertjähriger derartige Empfehlungen geben. Hundertjährige heißen heute auch Centenarians, weil sich das weniger eichenhaft anhört und mit dem englischen Zungenschlag zudem eine lässige Note bekommt. Centenarians hängen heute an Muskeltrainern, sie laufen Halbmarathons und sind selbstverständlich glücklich mit anderen Hundertjährigen verheiratet, denn man kann nicht allein glücklich sein. Sie essen nach dem morgendlichen Stretching drei Avocados und nehmen nach dem Work-out eine Handvoll Nüsse zu sich. Die Welt scheint zur einen Hälfte aus Hundertjährigen zu bestehen und zur anderen Hälfte aus Leuten, die alles dafür geben, Hundertjährige zu werden. Manche möchten am liebsten schon morgen hundert sein, um nicht zu viel Lebenszeit zu verlieren. Natürlich sind die Hundertjährigen, sowohl die realen als auch die in der Vorstellung, allesamt bei bester Gesundheit und topfit.
Es gibt offenbar viele Wege, hundert zu werden. Die meisten davon führen über unwürdige Gymnastikübungen und Ernährungstipps direkt in die Verzweiflung. Denn was passiert mit einem, der nicht die Disziplin aufbringt, sich mit Exerzitien und Proteinen durch die Tage, Wochen und Jahrzehnte zu peitschen? Ist er dazu verdammt, mit Mitte neunzig am Rollator zu gehen oder sogar mit 99 zu sterben? Wer morgens um acht Uhr drei Tassen schwarzen Kaffee trinkt, wird sehr alt. Trinkt er den Kaffee erst um neun, verliert er zwanzig Lebensjahre. Nichts kann einem das Leben so gnadenlos zerstören wie die Erkenntnisse der Ernährungswissenschaftler. Und überhaupt, was soll das Ganze?
Wer heute um die fünfzig ist, wird als Hundertjähriger in einer Welt aus lauter Hundertjährigen leben. Alle werden sie turnen und Joghurt essen. Das Klima wird unerträglich sein, überall Gezänk, Peergroups und Quinoasalat mümmelnde Follower. Gesund sind wir dann alle. Aber wir werden ziemlich alt aussehen.