GlosseDas Streiflicht

Lesezeit: 2 Min.

Wer einen einigermaßen klimaverträglichen Urlaub verleben will, fährt heute selbstverständlich dorthin, wo es richtig kalt ist.

(SZ) Das Wort „Sommerfrische“ klingt schrecklich antiquiert, etwa so wie „Hagestolz“, „blümerant“ oder „Klimaschutz“. Mögen diese Wörter mal eine gute Zeit genossen haben, heute braucht sie kein Mensch mehr. Dabei war die Sommerfrische mal schwer angesagt, nicht nur das Wort, sondern auch die damit gemeinte Praxis, der sommerlichen Hitze in der Stadt zu entfliehen, um auf dem Land nach frischer Luft und naturbelassenen Menschen Ausschau zu halten. Wer im 19. Jahrhundert Geld oder einen Adelstitel oder im Idealfall beides hatte, fuhr in die Sommerfrische, die besonders clevere Sommerfrischler in der Gegend um Bad Ischl im Salzkammergut zu finden hofften. Dort geruhte auch der ewige Kaiser Franz Joseph I. die Krone baumeln zu lassen, wobei er gelegentlich lästige Pflichten wie die Kriegserklärung an Serbien erfüllen musste. Aber auch das bayerische Oberland verfügte über ein anerkanntes Frischesiegel. Zahllos die Berichte über die Piefkes aus Berlin, zu deren Amüsement die bauernschlauen Dörfler ein Landleben vorgaukelten, das aus Schuhplatteln, Raufen und Fensterln bestand. „Köstlich, köstlich“, riefen die Piefkes und zahlten im folgenden Jahr den doppelten Zimmerpreis.

Ja, das waren herrliche Zeiten. Früher war eben doch alles besser. Jetzt aber erlebt die Sommerfrische einen zweiten Frühling – natürlich unter anderem Namen, der wie jeder neue Hype weltmännisch englisch klingt: Coolcation heißt das Zauberwort, in dem cool (kühl) und vacation (Urlaub) in erfrischendem Wohlklang vereint sind. Wäre dies nicht eine seriöse Kolumne, würde man schreiben, Coolcation ist der neueste heiße Scheiß, aber das wäre erstens vulgär und führte zweitens in die Irre. Wer als Coolcation-Tourist unterwegs ist, sucht Kälte. Er möchte bibbern, irgendwo am Nordkap, auf Trumps Grönland oder gleich auf dem eiskalten Mars, müsste man dort nicht eine Begegnung mit Elon Musk fürchten. Ibiza oder die karibischen Schwarzgeldinseln sind viel zu heiß. Deren Sommer-Sonne-Beachclub-Charme hat der Klimawandel auf dem Gewissen.

Vorbei die Zeiten, in denen enthusiastische Deutsche wie der Gefühlsgrieche Schiller die Sonne Homers feierten, sie ist jetzt mindestens so unheilvoll wie die Homer’schen Ungeheuer Skylla und Charybdis. Wie angenehm hingegen die Polarstürme an den Gestaden des Eismeeres, auch wenn es noch dauern wird, bis sich in Hammerfest ein so anspruchsvolles Strandleben entwickelt wie am Ballermann auf Mallorca. Wer unbedingt mediterrane Hitze sucht, kann sich ja an die Nordseeküste oder den Funtensee legen, der kluge Mensch aber genießt die Mitternachtssonne in der Polarregion. Für Deutschland prophezeien die Meteorologen wieder einen Hitzesommer. Also rasch noch den Urlaub buchen, im hohen Norden sind die Plätze rar. Und die Polkappen schmelzen auch.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: