(SZ) Die Karriere des künftigen Ministerpräsidenten von Niedersachsen hat einen schweren Knacks erlitten. Olaf Lies (SPD) ist nämlich vom CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner in die Gruppe der „netten“ Leute wegsortiert worden. Den Malus der Nettigkeit hat Lechner Olaf Lies verpasst, obwohl die beiden gut miteinander können, wie die Deutsche Presse-Agentur festgestellt hat. Und das hat Lechner in seiner persönlichen Einschätzung des Politmitbewerbers auch durchblicken lassen. Lechner hat Lies ein gutes Zeugnis ausgestellt, als er sagte: „Olaf Lies kann gut besprechen, kann gut diskutieren. Das kann er gut, aber dabei darf es nicht bleiben“, und dann folgte das Urteil, das kein kumpanenhaftes Winken über die Regierungsbank zur CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag vergessen machen kann: „Und nett ist eben nicht genug.“
So ein „Mehr als nett ist nicht“ gilt als neue gültige Übereinkunft und lastet schwer auf dem Image jedes Entscheiders. Das ändert aber nichts daran, dass Menschen nach wie vor, wenn sie jemanden schnell charakterisieren wollen, kein besseres Wort finden als „nett“. Zum einen, weil es in die kleine Familie der „Alles-und-nichts-Wörter“ fällt, also jener Wörter, unter denen sich jeder etwas anderes vorstellt, von denen aber jeder weiß, was gemeint ist. „Schön“ ist der nächste Verwandte von „nett“. Zum anderen liegt der praktische Effekt darin, nicht mühsam um Tiefe ringen zu müssen, wo ein schnelles Urteil ausreicht. Netter Kerl ist unter Männern fast schon das höchste Lob, das sie vergeben können. Nette Frau ist nicht minder aussagekräftig. Aber diese nützliche Verabredung gilt nicht mehr, weil seit geraumer Zeit Menschen, die glauben, sich mit Psychologie so gut auszukennen wie mit Fäkalsprache, bei jeder Gelegenheit das Bonmot „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“ zum Besten geben.
Vielleicht weil unser „nett“ sich vom Altfranzösischen „net“ ableitet, was „glatt“ und „glänzend“ bedeutet hat, bevor es nach Deutschland fand und hier mit Bedeutungen wie angenehm oder liebenswürdig weiter ausgestattet wurde. Aber wie der Realpolitiker Lechner jetzt klar gesagt hat: Nett reicht nicht. Wobei sich die Frage stellt, ob deshalb der Goldstandard unter den Alltagsphrasen aufgegeben werden sollte. Olaf Lies sieht tatsächlich aus wie ein netter Ministerpräsident. Ist doch schön für Lechner und die Niedersachsen. Genau wie Alexander Dobrindt bei den Koalitionsverhandlungen sich als für Konfliktlösungen gut geeigneter netter Bursche herausgestellt hat, der nicht die ganze Zeit Deals durchdrücken wollte. Dass in dieser Zeit eine Menge Menschen mehr als nur nett sein wollen, ist bekannt. Deswegen wird an dieser Stelle auf eine Liste mit Finsterlingen verzichtet. Freuen wir uns lieber über jeden Netten, den wir auftreiben können.