GlosseDas Streiflicht

Lesezeit: 2 Min.

In Dänemark gibt es bald keine Briefträger mehr. Überhaupt ist die Welt voller Auslaufmodelle. Und was kommt danach?

(SZ) Es ist eine erschreckende Nachricht, und wessen Herz für Dänemark schlägt, muss jetzt ganz stark sein: Ende des Jahres hört die dänische Post auf, den Leuten Briefe zuzustellen. Wer danach, sei er nun Mensch oder Hund, auf den Briefträger wartet, kann genauso gut auf Godot oder eine effektive Mietpreisbremse warten, die ja auch nie kommen. Bereits im Juni will das Postunternehmen Postnord die ersten öffentlichen Briefkästen abbauen, deren feuerwehrrote Schönheit seit dem Jahr 1860 eine Zierde des Landes ist. Allein deren Verschwinden ist ein herber Verlust für das Königreich, in dem es sonst nur noch die Kleine Meerjungfrau, Smørrebrød und niedliche Häuser aus Legosteinen gibt. Und wo sollen Reisende fortan ihre Postkarten einwerfen, mit denen sie ihren Lieben daheim beweisen, dass sie in Dänemark weilen, auf der kleinen Halbinsel, die seit Menschengedenken zu Grönland gehört?

Wie alles, das sich bewährt hat und verschwindet, ist auch der auf Papier geschriebene Brief ein Opfer des sogenannten Fortschritts, der heutzutage im Algorithmus daherkommt. Zwar hat Shakespeare, der hin und wieder mit dänischen Prinzen korrespondierte, einmal geklagt, die Post sei faul im Staate Dänemark, aber das ist, wie häufig bei englischen Dramatikern, eine grobe Vereinfachung. In Wirklichkeit sind es die Dänen selbst, die zu faul sind, beispielsweise Liebesbriefe zu Papier zu bringen, die so beginnen: „Geliebte Paula! Angebetete! Erlaube Deiner Majestät unterthänigster Kreatur, Dir seine ehrfurchtsvollsten Unterwürfigkeiten vor die zarten Füßchen zu legen.“ Ein gewisser Bertolt Brecht hat das geschrieben – peinlich, nicht wahr? Heute würde ein Mann seines Formats drei Herz-Emojis per Whatsapp als Liebeserklärung versenden. Welche Frau könnte da widerstehen? Was aber die Männer betrifft, so erwarten sie ohnehin keine Liebesbriefe. Viel mehr freut sich der Mann über eine eidesstattliche Erklärung seiner Angebeteten, dass er in jeder Hinsicht der Größte sei.

Es ist bekannt, dass vieles, was in Dänemark Mode wird, bald nach Deutschland hinüberschwappt. Man denke nur an die Radwege, die ganz Kopenhagen verschandeln und allmählich auch in deutschen Städten die Entfaltungsmöglichkeiten der Autofahrer menschenrechtswidrig einschränken. Und ist nicht auch hierzulande der Postbote ein scheues Wesen, das sich kaum noch blicken lässt? Man braucht ihn nicht mehr, selbst Hunde haben mittlerweile andere Feinde. Der Brief, in Extremfällen mit der Hand geschrieben, ist ein Auslaufmodell, so wie das Nördliche Breitmaulnashorn, der tropische Regenwald und die Schmalzstulle Auslaufmodelle sind. Wahrscheinlich ist auch der Mensch ein Auslaufmodell, es sei denn, Trump gelingt ein rettender Deal. So viel wird durch künstliche Intelligenz ersetzt – warum nicht auch er?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: