GlosseDas Streiflicht

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Man wartet auf die neue Regierung. Und auf den neuen Papst. Vor allem aber wartet man darauf, dass es besser wird. Und sei es erst nach dem Tod.

(SZ) Das Leben besteht eigentlich nur aus dem Warten auf den Tod. Zwar stammt dieser Satz weder vom neuen Kulturstaatsminister noch vom neuen Regierungssprecher, enthält aber trotzdem viel Weisheit. Er ist etwas düster, weil es zwischen der Geburt und dem Tod doch auch Ereignisse und Gefühle gibt, die das Warten in den Hintergrund drängen: Liebe unter dem Glanz des Vollmonds, Bachs Cellosuiten oder die gesammelten Werke von Thomas Bernhard. (Letztere zeigen, dass auch ganz und gar Unheiteres das Leben bereichern kann.) Dennoch verbringt der Mensch nur mit dem Schlaf noch mehr Zeit als mit dem Warten. Schläft er nicht, wartet er. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem primären und dem sekundären Warten. Das primäre Warten findet beim Arzt, in der Bahn oder bei Behörden, vor allem in Berlin, statt. Das sekundäre Warten dagegen ist ein zum Leben parallel verlaufender Gemütszustand: Man wartet auf eine neue Partnerin oder einen Partner, auf die Selbstauflösung der AfD oder auf Putins Eintritt in ein Kloster. Das sekundäre Warten ist ein Warten auf bessere Zeiten vor dem Tod.

In diesen Tagen vermischen sich primäres und sekundäres Warten. Man wartet auf die neue Regierung und darauf, dass man „Bundeskanzler Friedrich Merz“ sagen wird. Der Wortverbund „Kanzler Merz“ ist noch sehr ungewohnt und hat etwas von Nichtzusammengehörigem an sich, so etwa wie Weißwurst mit scharfem Senf. Man wartet auf den Vizekanzler Lars Klingbeil, der sich gerade die SPD unterwirft, als sei er Saskia Esken auf Benzedrin. Und natürlich wartet man auf den Innenminister Alexander Dobrindt, von dem schlecht unterrichtete Kreise behaupten, er wolle seinen Parteifreund Andreas Scheuer mit dem Entwurf eines Mautsystems für Migranten betreuen. Diese primären Warteereignisse werden überlagert vom großen sekundären Warten: Hoffentlich bringt die Migroko, die mittelgroße Koalition, bessere Zeiten, mehr Optimismus, weniger Trump, mehr Geld, pünktliche Züge und vielleicht ein neues Studioalbum von Billy Joel.

Auf die Migroko warten viele Menschen. Auf den neuen Papst warten noch mehr Menschen. Im Amt, und damit auch in der Person, des Papstes vereinigen sich nicht nur primäres und sekundäres Warten. Der Papst symbolisiert sogar das seltene tertiäre Warten, nämlich das Warten auf das Leben nach dem Tod. Selbst wenn das sekundäre Warten, also das auf ein besseres Leben, keine besonderen Früchte gezeitigt hat, bleibt immer noch das Warten auf einen Zustand, von dem man nicht weiß, ob es ihn überhaupt gibt. Es ist schwer zu sagen, ob Friedrich Merz als Katholik und Pilot primär mehr auf den Papst wartet als auf die sekundär erwartete, erhoffte Pflichterfüllung seiner Regierung. Wenn das nicht so klappen sollte, bleibt ihm spätestens 2029 immer noch der tertiäre Wartestand.

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