GlosseDas Streiflicht

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Johannes Gutenberg hat sich manches nicht träumen lassen. Sein jüngster Nichttraum: die größte Bibelseite der Welt, die jetzt in Mainz vorgestellt wurde.

(SZ) Als die Uni Mainz unlängst eine der seinerzeit von Gutenberg gedruckten Bibeln digitalisierte und im Internet für jedermann zugänglich machte, pries der Rhein-Ahr Anzeiger dies mit den Worten, „der alte Herr Gensfleisch, wie Johannes Gutenberg auch genannt wird“, habe sich das nicht träumen lassen. Nun ist wieder etwas geschehen, das sich weder der alte Herr Gensfleisch noch der ebenfalls recht alte, wenngleich um dreieinhalb Jahrhunderte jüngere Herr Shuckburgh hätte träumen lassen. In Mainz wurde anlässlich der feierlichen Eröffnung des Kultursommers Rheinland-Pfalz eine von Gutenberg gedruckte Bibelseite auf fünf Meter mal 7,20 Meter gestreckt: die größte Bibelseite der Welt! Was Shuckburgh damit zu tun hat? Nun, die Vorlage zu dieser Seite stammt aus einer Bibel, die Sir George Augustus William Shuckburgh-Evelyn – nach ihm ist übrigens auch der Einschlagkrater Shuckburgh auf der nordöstlichen Mondvorderseite benannt – in den 1770er-Jahren erworben hatte.

Im Kosmos der Rekorde liegen das Eingängige und das Verrückte nah beieinander. Dass zum Beispiel der Blauwal mit seinen 33 Metern Länge und 200 Tonnen Körpermasse das größte Tier ist, hört man mit Respekt, aber ohne das atemlose Staunen, das dem Meeressäuger sicher gewesen wäre, wenn er sich sein Gewicht fürs Buch der Rekorde oder für eine karitative Fernsehshow angefressen hätte. Mit Staunen, wiewohl ohne allzu viel Respekt, registrieren wir hingegen Weltrekorde wie den des US-Amerikaners Kevin Shelley, der mit seinem Schädel innerhalb von 60 Sekunden 46 hölzerne Klodeckel zertrümmerte, oder die damit thematisch eng verwandte Leistung des Briten James Rawlings, dem es im Juni vorigen Jahres gelang, 152 Rollen Toilettenpapier auf seinem Kopf zu balancieren. Derlei bringt, wie die philosophisch Veranlagten unter uns zu sagen pflegen, die Welt nicht wirklich weiter.

Was die Welt, jedenfalls nach Ansicht der Christen, weiterbringt, ist die Bibel, weswegen sie denn auch Gegenstand vielfältigster Verehrung ist. Als ein Seitenzweig dieser Zuwendung hat sich der von Rekordsucht nicht freie Eifer etabliert, die heiligen Texte in extreme Formate zu gießen. Ein frommer Tischler aus Los Angeles hat einmal eine riesige Bibel aus lauter dünnen Holzbrettern hergestellt: 8048 Seiten stark, 547 Kilogramm schwer und 2,5 Meter dick, ein besonders für Altersweitsichtige leicht lesbares, aber auch ziemlich unhandliches Buch. Am anderen Ende der Bibelrekorde steht das kleinste Exemplar, ein drei Zentimeter mal vier Zentimeter großes Dia, das auf Englisch und im Maßstab 1:48400 die komplette Bibel anbietet: 773 746 Wörter auf 1245 Seiten. Benötigt wird dafür ein Mikroskop und, wie für alle Bibeln, das Talent, das mit diesem Wahrwort umschrieben wird: „Wer es fassen kann, der fasse es.“ Wer das gesagt hat? Der alte Herr Christus, wie Jesus auch genannt wird.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung wurde der Maßstab der kleinsten Bibel mit „48400:1“ angegeben. Das war falsch, jene Mikrobibel hat einen Maßstab von 1:48400. Wir haben das im Text korrigiert.

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