GlosseDas Streiflicht

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Man sollte die Alten nicht unterschätzen. Der Grönlandhai hat erst mit 150 Jahren Sex,  Thomas Müller spielt immer noch Fußball, und Joschka Fischer weiß Bescheid.

(SZ) Es spricht manches dafür, dass Erotik, gar ihr banaler Vollzug, der Geschlechtsverkehr, das Leben verkürzt. Man muss nur an die vielfältigen Tragödien denken, die erfülltes oder unerfülltes Verlangen, das häufig als Liebe getarnt wird, bei jüngeren und älteren Menschen hervorrufen kann. Weitgehend tragödienfrei lebt dagegen der Grönlandhai, über den wenig bekannt ist, auch weil er sich in den tiefen Gewässern der Arktis aufhält. Er kann bis zu acht Meter lang und älter als 400 Jahre werden. Ein faszinierender Gedanke: Da oben schwimmen weit unten Tiere herum, die schon zu Lebzeiten von Galileo Galilei, Katharina der Großen oder Abraham Lincoln herumgeschwommen sind. Solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, wird hiermit angenommen, dass die Langlebigkeit des Grönlandhais sehr damit zusammenhängt, dass er (oder die Grönlandhaiin) erst mit etwa 150 Jahren geschlechtsreif wird. Das ganze stressige Liebesgewusel, das Menschen zwischen zwölf und 65 an die Ränder von Paradies und Hölle treibt, bleibt dem Hai erspart. Er vermehrt sich, mutmaßlich lässig, im Alter von 234 Jahren, und wenn er mit 305 noch mal Bock hat, tut er’s halt.

Ähnlich entspannt ist in dieser Hinsicht die Galapagos-Schildkröte. Im Zoo von Philadelphia sind gerade vier kleine Schildkröten geschlüpft, deren Mutter 100 Jahre alt ist und seit 1932 in dem Zoo lebt. Der Vater ist auch 100. Diese fruchtbare Liaison der Hundertjährigen ist nicht ganz so phänomenal wie die späte, kalte Liebe des Grönlandhais, weil zum Beispiel der durchaus nicht schildkrötenunähnliche Formel-1-Mogul Bernie Ecclestone seiner 46 Jahre jüngeren Ehefrau im Alter von 88 vor ein paar Jahren einen Sohn bescherte. Von dem politisch, bergsteigerisch und menschlich vielseitigen Alpinfex Luis Trenker wird gar behauptet, er habe mit 96 noch einmal ein Kind gezeugt. Das aber ist nicht sicher, weil alle damals Anwesenden sich über den Vorgang nicht klar geäußert haben.

Jedenfalls sollte man die Alten nicht unterschätzen. Der FC Bayern merkt gerade, dass seine hauseigene Galapagos-Schildkröte, also Thomas Müller, die Emotionen – und durchaus auch noch den Ball – besser bewegen kann als manche Jungen, die sich dauernd verletzten. Müller neigt nicht mehr zu ungestümen Handlungen, weder auf dem Platz noch bei Insta. Aber er verkörpert etwas, das viele gerade jetzt suchen. In dieser Hinsicht ist Müller der Joschka Fischer des Fußballs. Neulich saß der alte Fischer – in ein paar Tagen 76 – in einer dieser Galapagos-Talkshows und erklärte die Welt, als sei er noch ein junger Außenminister von 56 Jahren. Zwar gehörte Fischer nie zu den Wesen mit nachlaufender Geschlechtsreife. Aber dennoch wünschte man sich in diesen Tagen mehr Müller-Fußballer, mehr Fischer-Außenminister und viel mehr Grönlandhai-Lässigkeit.

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