GlosseDas Streiflicht

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Viele Menschen fragen sich, in was für einer Welt wir eigentlich leben. Der Sänger Udo Lindenberg weiß es. Er hat sogar einen interessanten Begriff dafür gefunden.

(SZ) Die freie Welt – wenn man so weit gehen will, dieses Wort noch in den Mund zu nehmen – ringt derzeit mehr als um Geld und Erdöl vor allem um Fassung. Sie versucht damit klarzukommen, was ein 78-jähriger Mann mit Hauptwohnsitz in Florida und Nebenwohnsitz in Washington D. C. mit genau dieser Welt gerade anstellt. Aber sie ringt dabei nicht nur um eine widerständige Haltung. Sie ringt immer mehr auch um Worte, die es ermöglichen, den Wahnsinn, den Irrsinn, das Unbegreifliche – kurz: das Kalamitäten-Duo Trump und Musk zumindest auf der sprachlichen Ebene beherrschbar oder sagen wir weniger anspruchsvoll: für einen Lippenhauch kalkulierbar zu machen. Und auf diese, wenn man darüber nachdenkt, nicht minder irre Weise, den täglichen Weltuntergang für einen weiteren Moment überlebt zu haben.

Leider sind die Worte, die den Trumpismus und Muskismus einfangen sollen, mittlerweile wie ein ausgeleiertes Lasso. All der tausendfach beschworene Irrsinn und Wahnsinn sind – um beim Seil zu bleiben – nur noch Hilfsmittel im Sinne von Johann Nestroy, der festgehalten hat: „Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf.“ So zeigt Nestroy, dass Sprache jede Kapitulation ungeschehen machen kann. Und nun hat tatsächlich ein Mann das Sprachproblem zur Chefsache gemacht, dem die Deutschen so sehr vertrauen wie sonst nur Herbert Grönemeyer und Reinhard Mey. Obwohl oder vielleicht gerade weil Udo Lindenberg seine Worte für das Unsagbare nuschelt statt singt und Ausdrücke benutzt, die höchstens einer wie Gerhard Gösebrecht aus dem 13. Sonnensystem versteht, der vor vielen Udo-Jahren die Erde besucht hat, ganz grün im Gesicht ist und Antennen an den Ohren hat – Worte wie: Panikorchester, Scheißegalien und Exzessor.

Pazifist Udo Lindenberg hat im Stern also gesagt: „In dieser verirrten Schwachmaten-Welt stellt man sich plötzlich die bange Frage: Müssen wir umdenken? Brauchen wir jetzt doch ’n starkes Militär?“ Nicht vom Blick auf den militärischen Komplex geht dabei tröstliche Kraft aus, sondern von dem Wort, das nicht nur einem Außerirdischen wie Gerhard Gösebrecht die neuen politischen Kräfte allumfassend erklärt, ohne deutlich werden zu müssen: Das Wort Schwachmat ist weder ins Deutsche noch ins Bayerische übersetzbar und ins Englische schon gar nicht. Es könnte auf jeder Reise in die USA bei der Immigration beliebig oft genuschelt werden, ohne dass der Einreisende in den Panikraum geführt wird. Selbst Menschen wie Vance, Musk, Putin, die Udo als typische Vertreter des Trump-Universums nennt, wären nicht in der Lage, ihren Anteil an dieser Welt zu definieren. Sie müssten akzeptieren, in die Udo-Welt reimmigriert zu sein, wo der König von Scheißegalien lebt. Der hat keine Angst vor Schizomaten und sagt zur freien Welt: „Ich gehe mit dir durch dick und dünn, aber nicht durch dick und doof.“

In einer früheren Version wurde das Zitat „Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf“ fälschlicherweise Karl Valentin zugeschrieben.

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