GlosseDas Streiflicht

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Überall erklären uns Experten, wie und sogar wann wir was essen sollen. Man könnte verzweifeln, aber mit ein bisschen Mut findet man einen radikalen Ausweg aus dem Dilemma.

(SZ) Der Schriftsteller Ralf Rothmann erzählt in seinen Aufzeichnungen, dass ihn einmal ein Buchhändler dabei beobachtete, wie er Honig in seinen Tee gab. Der Buchhändler zählte die Verhaltenstugenden des Autors auf und beschied ihm zusammenfassend: Sie leben einfach zu gesund. Diese Volte schnappte der ebenfalls anwesende große Schweizer Dichter Peter Bichsel auf und verwandelte sie in den Seufzer: „Na, dann ist er doch selbst schuld, wenn er neunzig wird.“ Vor ein paar Wochen ist Peter Bichsel gestorben, neun Tage vor seinem neunzigsten Geburtstag. Bichsel trank viel und rauchte sehr viel. Er joggte nie und verachtete Ernährungsmaximen, selbst die genießerische Weisheit der Weinkenner, das Leben sei zu kurz um schlechten Wein zu trinken, trat er in die Tonne: Sein Leben, sagte Bichsel, sei lang genug, um auch schlechten Wein zu trinken.

Heute weiß man, dass man keinen einzigen Schluck Wein trinken darf, wenn man neunzig Jahre und womöglich noch älter werden möchte. Man muss überhaupt höllisch auf sich aufpassen, sofern man ein leidenschaftlicher Sammler verbleibender Lebensjahre ist. Gut ist es nach heutigem Stand, Kaffee zu trinken. Aber man sollte ihn immer so gegen acht Uhr trinken, das spendiert eine Handvoll Lebensjahre. Frühstückt man gegen zehn, steigert man schon wieder sein persönliches Risiko für einen vorzeitigen Tod. Eine Studie aus Norwegen, irgendeine halt wieder, besagt auch, dass man fast nur Nüsse und Spinat mit Erbsen essen darf, wenn man demnächst nicht sterben will. Eine „dunkle Seite“ dagegen, haben laut Tagesspiegel Proteine. Sie töten den Menschen direkt nach dem Verzehr des Frühstückseis. Einmal hieß es irgendwo, man solle keine hochverarbeiteten Lebensmittel zu sich nehmen. Anderswo stellte jemand die freche Frage: Stimmt das überhaupt?

Eigentlich ist es ja wurst (verkürzt übrigens auch die Lebensspanne, weil zu viel Fette darin sind), ob es stimmt oder nicht. Es geht ja darum, an diese Mahnungen und Versprechungen zu glauben oder nicht. Aber offenbar geht es noch um etwas anderes, legt man die neue Studie der Robert-Bosch-Stiftung seinen Überlegungen zugrunde. Nach dieser stehen Fleischesser den Vegetariern in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber, umgekehrt verhält es sich ähnlich. Es gibt aber mehr Menschen, die Karnivore sind, außerdem sind sie sowieso stärker, weil Frikadellen kräftig und mutig machen. Die Boschleute sagen, man habe es mit einer „Debattenlage zu tun, in der die Lager sich gegenseitig die Debattenschuld zuwiesen“. Wer also Fruganer ist, wirft dem Bulettaner vor, er vergifte die Debatte mit seiner Obstverachtung. Als jemand den sehr alten Bichsel fragte, wie er so alt geworden sei, sagte er: Ich habe alles dafür getan, nicht alt zu werden. Vielleicht ist es clever, den Tod so zu überlisten, wie Bichsel es tat.

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