GlosseDas Streiflicht

Lesezeit: 2 Min.

Der Aprilscherz hat es schwer, weil wir unser Humorbedürfnis ausgelagert haben. Indessen: Ist die Zeit nicht so, dass es ruhig noch ein Weilchen ausgelagert bleiben kann?

(SZ) In seinem Bemühen, Russland erfolgreich in eine neue Zeit zu führen, ließ Peter der Große 1702 auf dem Roten Platz zu Moskau ein Theater errichten, das von einer aus Danzig herbeigeholten Compagnie bespielt wurde. Der Erfolg war mäßig, da das Publikum die Inhalte der schlecht ins Russische übertragenen, oft sogar auf Deutsch präsentierten Stücke kaum verstand, nicht zu reden davon, dass es sich mit den Personen der Handlung nur schwer identifizieren konnte. Leiter der Truppe war Johann Kunst, und er leistete sich an einem 1. April den Scherz, dass der Vorhang sich öffnete und nichts zu sehen war als ein Schild mit der Aufschrift „Heute ist der 1. April“. Weil Peter das überhaupt nicht amüsant fand, war Kunst die längste Zeit „Director der Hofkomödianten Ihrer Zarischen Majestäten“, und er tat, was zu tun sich schon damals in Russland empfahl: Er starb, sobald sich das einrichten ließ.

Dank Peters des Großen Entrüstung hat es Director Kunsts Gag in die Geschichte des Aprilscherzes geschafft, doch was seine Gestaltungshöhe angeht, so hält er dort allenfalls einen soliden Mittelplatz. Dieser Geschichte hängt der Geruch der Albernheit an, aber ihr Formenreichtum hilft ihr darüber locker hinweg. Der heutzutage so gut wie gar nicht mehr praktizierte Scherz, jemanden um eine Tüte „Ibidum“ zu schicken, lässt in seiner spießigen Harmlosigkeit vergessen, dass auch der Aprilscherz im Archaischen wurzelt, im Grauen. In der Brauchtumsliteratur wird als eine seiner Wurzeln die Geschichte des Titanen Kronos namhaft gemacht. Dieser pflegte seine Kinder aus Angst, von ihnen entmachtet zu werden, gleich nach der Geburt zu verschlingen. Beim kleinen Zeus wollte Rhea, die Mutter, das nicht länger dulden, und so gab sie Kronos einen in Windeln gewickelten Stein, den der Grobian auch prompt auffraß. War das ein Hallo!

Vor dieser Kulisse gewinnt verständlicherweise auch die Frage „Quo vadis, Aprilscherz?“ an Bedeutung. Den Regensburger Volkskundler Gunther Hirschfelder treibt sie seit Jahren um, und heuer ließ er sich von der Katholischen Nachrichten-Agentur zu dieser Antwort respektive Diagnose bewegen: „Wir brauchen ihn, aber er ist nach wie vor in der Krise.“ So gesehen, wären die Aprilscherze mit Loriots Möpsen zu vergleichen, ohne die das Leben zwar möglich, aber sinnlos sei. Der Aprilscherz hat es Hirschfelder zufolge deswegen so schwer, weil wir, anders als die Menschen in der Vormoderne, mit dem Witzemachen fremdeln und „unser Humorbedürfnis“ an Comedians und ähnliche Profis ausgelagert haben. Das klingt nach einer kulturanthropologischen Rüge. Wenn wir jedoch über den Atlantik blicken und die Scherze registrieren, die dort von ein paar närrisch gewordenen Titanen, einer Gurkentruppe säkularen Zuschnitts, verübt werden, dann kann unser Humorbedürfnis ruhig noch eine Weile ausgelagert bleiben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: