Glosse:Das Streiflicht

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Im Zeitalter der Bullshit-Politik sind innere Widersprüche kein Nachteil mehr – sie befreien gewisse Politiker von den Zumutungen der Wirklichkeit.

(SZ) Der Philosoph Martin Heidegger durchstreifte gern sinnierend den heimischen Schwarzwald. Beim Anblick des dunklen Tanns geriet der Gelehrte, der bis heute seine Verehrer hat, in einen Reigen der Gedanken: „Wenn wir das Wesen des Baumes suchen, müssen wir gewahr werden, daß jenes, was jeden Baum als Baum durchwaltet, nicht selber ein Baum ist, der sich zwischen den übrigen Bäumen antreffen läßt.“ Ob er damit zum Ausdruck bringen wollte, der Betrachter sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht, muss den zahlreichen Exegeten Heideggers überlassen werden. Ihm selbst ist dies leider widerfahren, als der deutsche Düsterwald sein Gemüt überwältigte und er eifrig dem Nationalsozialismus Beifall klatschte. Die Tiefe von Sein und Zeit ausmessen zu wollen und dann als Untertan den Tyrannen zu umschmeicheln, das nennt man einen inneren Widerspruch. Ein Gedicht hat das Wesen dieser Kontradiktion schon im 18. Jahrhundert hübsch beschrieben: „o mensch, du widerspruch, der thorheit raub / jetzt geist, und groß, und jetzt ein wurm im staub.“

Unglücklicherweise ist der Mensch in unseren Tagen mehr denn je der Torheit Raub geworden, oder um es mit der Ausdrucksweise der neuen Mächtigen zu sagen, Opfer des reinen Bullshits. Sie rufen Make America great again und machen es in jeder Hinsicht kleiner, als nur vorstellbar war. Der Kriegsherr in Moskau fällt über demokratische Nachbarländer her im Namen des Kampfes gegen Nazis. Deutsche Abgeordnete von ganz rechts halten sich für die größten Patrioten und machen ihrem Land zugleich Schande, wenn sie sich in Putins Propagandamedien spreizen dürfen wie begriffsstutzige Pfaue. Das Bündnis Sahra Wagenknecht spricht zugleich links wie rechts: Wir sind Antifaschisten, stimmen aber mit der AfD; wir finden Putins Krieg auch nicht so richtig doll, aber was erdreistet sich sein Opfer, sich einfach zu wehren. Der innere Widerspruch ist kein Malus mehr, den man seinen Trägern vorwerfen kann: Sie sind geradezu stolz darauf, denn er befreit sie von den Zumutungen der Realität.

Natürlich, der Meister der Kunst, sich selber zu widersprechen, sitzt wieder im Weißen Haus. Gerade gehen an der Börse Milliarden Dollar verloren, die Kanadier kommen nicht mehr nach Florida, um Sonne zu tanken, und stornieren reihenweise Aufträge in den USA. So geht das eben, wenn man Zölle verhängt und nette Nachbarn vors Schienbein tritt. Wollte Donald Trump Amerika nicht groß machen statt ärmer? Verunsicherten Bürgern, die gerade zu ahnen beginnen, dass sie ihre Wahlentscheidung vielleicht teuer zu stehen kommt, versichert der Präsident: Kleine Nachteile jetzt seien nötig, damit die Zukunft umso goldener strahle, dann werde man gar nicht mehr wissen, wohin mit all dem Geld. Die Welt als Wille und Bullshit. Um noch einmal die Dichter zu bemühen: Dunkel wars, der Mond schien helle.

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