(SZ) Beim Prager Tagblatt gab es vormals einen altgedienten Lokalredakteur namens Mehlwurm, der die Polizeisachen betreute. Er machte das, indem er die einlaufenden Berichte mit einem Satzvermerk versah, ansonsten aber unverändert in die Setzerei gab. Eines Tages nun wollte man ihn dazu bringen, die strohtrockenen Texte um etwas Eigenes zu erweitern, „eine menschliche Färbung, ein persönliches Urteil“. Mehlwurm ließ sich das gesagt sein. Als bald danach ein Maurerpolier seine Lebensgefährtin mit mehreren Messerstichen schwer verletzte, fügte er das Wort „leider“ ein, und als wenig später ein betrunkener Gastwirt seine körperbehinderte Gattin verprügelt und in die Winternacht hinausgetrieben hatte, schrieb Mehlwurm ans Ende der Meldung: „Fürwahr, ein roher Geselle.“
Die Anekdote, die Friedrich Torberg in seiner „Tante Jolesch“ überliefert, hat als Hintergrund den Polizeibericht, eine schon seinerzeit mit leicht belustigtem Staunen wahrgenommene literarische Gattung. Diese Reaktion rührt nicht so sehr daher, dass die Polizei oft auch von entwichenen Pythons berichtet oder von Zechern, die sich im Schlafzimmer geirrt haben. Sie gilt vielmehr den sprachlichen und stilistischen Eigenheiten dieser Prosa, die darin zu bestehen scheint, sprachlich und stilistisch so wenig wie möglich aufzufallen. Eine starke Bürokratie und der nicht minder starke Wille, die auch in Polizeidienststellen oder zumindest in Polizistenherzen vorhandenen Gefühle unter Verschluss zu halten, bringen Texte von kalter, sperriger Nüchternheit hervor, einer Nüchternheit, die hin und wieder hart ans Groteske streift. Markantestes Beispiel dafür sind Standardformulierungen wie „Tötungsdelikt zum Nachteil einer 47-Jährigen“, die sich anhören, als wollte man der Frau bedeuten, dass das – leider, wie der Kollege Mehlwurm sagen würde – nicht optimal gelaufen sei und dass der Mörder sich damit wohl einen gewaltigen Vorteil habe sichern können.
Auf einen bisher kaum beachteten Aspekt weist jetzt ein übernationales Forscherteam hin. Dass die Unfallzahlen auf einem betrüblich hohen Niveau verharren, ist nach Überzeugung der Fachleute auch dem Sprachgebrauch zur Last zu legen. Wie das? Unter dem Motto „Unfallsprache – Sprachunfall“ wird die Unfallsprache anhand ihrer Mustersätze zum Rapport gebeten. Das klingt zunächst wie an den Haaren herbeigezogen, doch ist es ein Unterschied, ob es „Der Motorradfahrer geriet auf die Gegenfahrbahn“ heißt oder „Er fuhr auf die Gegenfahrbahn“. Die erste Version erweckt den Eindruck, als sei der Mann von etwas Schicksalhaftem auf die Gegenseite gelenkt worden, als sei der Spurwechsel quasi über ihn gekommen. Er war es aber selber, und nur wenn auch die Sprache diese Verantwortung abbilde, sagt die Wissenschaft, komme es zu einer Besserung. Fürwahr, ein gewagter Ansatz!