Glosse:Das Streiflicht

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Der Knoten führt ein ambivalentes Dasein, nicht nur in der Politik. Doch gibt es eindeutige Signale der Hoffnung für ihn.

(SZ) Im politischen Sprachgebrauch unterliegt der Knoten als solcher einer gewissen Ambivalenz, vielleicht lässt sich sogar sagen: Er wird gemobbt. Wollen Politiker (m/w/d) tatkräftig wirken, schnüren sie Pakete. Und wer Pakete schnürt, kommt ohne den Knoten selten aus, das weiß jeder, der sich an Heiligabend schon mal hastig fast den eigenen Daumen amputiert hat bei dem Versuch, mit einer schönen Schleife von der offenkundigen Nachlässigkeit abzulenken, mit der das Geschenk zuvor ins Papier gewickelt wurde. Im Kontext des zu schnürenden Pakets jedenfalls ist der Knoten unerlässlich, was wiederum in einem gewissen Widerspruch dazu steht, dass dieselben Politiker nach üblicherweise zähen Verhandlungen irgendwann müde vor Kameras stehen und erleichtert mitteilen, endlich sei der Knoten geplatzt. Und dann gibt es noch Spezialeinsätze wie 2017 beim G-20-Gipfel in Hamburg. Dessen Symbol, einen hanseatisch anmutenden Kreuzknoten, erklärte die Bundeskanzlerin seinerzeit wie folgt: "Je größer die Belastung ist, umso fester wird der Knoten." Auch da lag wieder mal alle Last auf dem armen Knoten und niemand fragte ihn, wie gut oder eben nicht es sich eigentlich lebte mit dem ständigen Druck.

Im privaten und tatsächlichen Gebrauch sind die Lebensbedingungen des Knotens weniger ambivalent, deswegen aber nicht immer freundlicher. Wer privat einen Knoten knotet, der will erst mal, dass der geknotete Knoten auch hält, sei es auf hoher See oder am Schnürschuh. Nur geht es auch dort für den Knoten ziemlich hart zur Sache und dass darüber nun endlich auch öffentlich berichtet wird, verdankt der Knoten den Kollegen der Stuttgarter Zeitung. Dort war soeben zu lesen, "warum sich Knoten wie von Geisterhand öffnen", nämlich weil sie beim Gehen und Joggen alle nur denkbare Unbill zu ertragen haben. Erschütterungen lasten bei jedem Schritt auf ihnen, außerdem wirken "Beschleunigungs- und Trägheitskräfte auf die lose umherbaumelnden Enden der Schnürsenkel". Und wenn der Knoten dann irgendwann trotz redlichen Bemühens seine Spannkraft verliert und erschöpft aufgibt, was passiert dann? Na, dann denkt der Mensch nicht, dass er mal den Knoten besser ertüchtigt hätte. Oder sagt er: Kein Problem, lieber Knoten, passiert jedem mal? Nein, der Mensch denkt: Was geht der dumme Schuh schon wieder auf, kann der denn gar nichts?

So stellt sich als Nächstes natürlich die Frage: Was können die Knoten gegen all diese Ungerechtigkeit tun? Im Text der Stuttgarter Kollegen ist auch von einer "Knotenbasis" die Rede, sozusagen das Kraftzentrum jeden Knüpfkonstrukts. Wenn diese Knotenbasis sich mal formieren würde, ja, wenn sie sogar zu einem weltweiten Generalstreik aller Knoten aufriefe, dann ginge das den Menschen sicher zunächst auf den Senkel - dann aber würden sie gewiss bald einsichtig.

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