Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Anno 1636, mitten im Dreißigjährigen Krieg, schrieb Andreas Gryphius sein berühmtestes Gedicht. Das Sonett trug den Titel "Tränen des Vaterlandes" und beklagte auf heute noch herzzerreißende Weise die Gräuel der Zeit und die Not der Menschen. Profi, der er war, ließ Gryphius sich durch den gehäuften Jammer freilich nicht davon abhalten, das Gedicht nach allen Regeln der Kunst zum Ende hin höchst wirksam zu steigern, indem er in dessen letzter Zeile sagte, was er als die übelste Verheerung inmitten des umfassenden Elends erkannt hatte. Es war dies der Umstand, "dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen".

Würde dieses Gedicht heute im Deutschunterricht zur Interpretation herangezogen, könnte es leicht geschehen, dass als Impuls die Frage gestellt würde, was der Dreißigjährige Krieg mit einem wie Andreas Gryphius "gemacht" habe. Keine Konstellation erfreut sich größerer Beliebtheit als die, hier den Menschen zu sehen und dort die Verhältnisse und dann mit deutlich hörbarem Bangen zu überlegen, was wohl diese mit jenem machen. Das Bangen rührt daher, dass sich da in aller Regel keine gleichgewichtigen Kräfte gegenüberstehen. Vielmehr haben wir es mit asymmetrischen Machtverhältnissen zu tun, in denen der Mensch, "gefühlt" jedenfalls, auf den schlechteren Karten sitzt. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ist nun ebenfalls dieser Frage nachgegangen, und zwar mit Blick darauf, was die Bilder vom Krieg in der Ukraine mit den Menschen in Deutschland machen. Sie machen, wie alle bestätigen können, nichts Gutes, ebenso wenig wie die fahlen Wortgebilde, die man lang nicht gehört hat, die aber nun im öffentlichen Diskurs mitlaufen, als gehörten sie schon immer dazu. Die "nukleare Teilhabe" zum Beispiel: Sie hört sich zunächst beinahe so an, als ginge es um eine Handelsgesellschaft, der man als Kompagnon beitritt - wäre da nicht die fatale Vokabel "nuklear", die beängstigend klar macht, worauf man sich dabei selbst als stillster der stillen Teilhaber einlässt.

In der Bilanz dessen, was der Krieg mit uns macht, ist neben der Angst der Leute auch ihre - gewiss banale - Enttäuschung ein nicht unbedeutender Posten. Als hätte es nicht schon gereicht, sagen sie, dass "der Planet" dem Untergang geweiht ist, musste das Schicksal auch noch eine Pandemie auffahren, die aber jetzt erfreulicherweise den Eindruck erweckt, als neige sie dazu, in einen unbeschwerten Sommer auszulaufen. Ausgerechnet da, sagen sie, kommt nun dieser Putin mit seinem Krieg, und wenn es auch nicht angehe, das eine mit dem anderen in Verbindung zu bringen, so habe man auch so schon Panik genug und bedanke sich schönstens dafür, dass man nun womöglich noch Corona nachtrauern müsse. Das ist, wenn man so will, ein Teil des Seelenschatzes, der uns gegenwärtig abgezwungen wird.

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