Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Was der Landesbund für Vogelschutz in München aktuell zu einem seiner Schützlinge, dem Buntspecht, zu sagen hat, läuft unter dem ebenso herbstlichen wie hochpoetischen Motto "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr". Nun kann man bei dem, was der Specht bewohnt, zwar nicht von Haus im strengen Sinn sprechen, aber wenn er keine Nist- und Bruthöhle hat, ist er existenziell ähnlich aufgeworfen wie der Mensch, den Rilke mit seinem bekannten Gedicht im Auge hat. Im Gegensatz zu diesem verliert sich der Buntspecht allerdings nicht im Lamentieren und Hadern mit des Schicksals Mächten. Er legt Hand respektive Schnabel an, und weil er im Frühjahr, wenn es ans Balzgeschäft geht, auch immobilienmäßig gut dastehen will, hackt er bereits jetzt im Herbst eine Höhle nach der anderen. Das Problem an der Sache: Da der Wald nicht mehr ausreichend Bäume bietet, die sich zum Höhlenbau eignen, sieht sich der Specht in der Stadt um. Und was sieht er da? Er sieht ellendick gedämmte Häuser, und in diese Dämmwände gräbt er seine Höhlen.

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