Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Zu den jährlich wiederkehrenden Ereignissen auf dem Feld der sprachlichen Ethik zählt die Kür des Unwortes des Jahres, welche rückwirkend für 2019 auf den Terminus "Klimahysterie" fiel. Dieser Ausdruck wird - sicher nicht zu Unrecht - als despektierliche Zurechtweisung solcher Menschen empfunden, die im Klimawandel eine direkte Bedrohung der Zivilisation und des Überlebens schlechthin erkennen. Dem Hysteriker, so empfindet es die Jury, werde schon allein wegen dieser pathologischen Einordnung jede Fähigkeit zu einer vernünftigen Bewertung der Sachlage abgesprochen - er ist ja eh irre, nicht wahr? Nun müsse aber die lesende und hörende Welt, so glaubt die unabhängige Darmstädter Jury für das Unwort, gerade heute empfindlicher als je auf sprachliche Äußerungen reagieren, welche, so heißt es, "die Grenze des Sagbaren" verschieben. Immerhin, so hört man einschränkend aus Jurykreisen, sei Hysterie im täglichen Gebrauch durchaus ein Begriff, der auch Nervosität oder Überspanntheiten und damit nicht unbedingt ein Krankheitsbild unterstellt. Und trotzdem sei das nun als Unwort definierte Wort dazu geeignet, den Klimaaktivisten zu unterstellen, sie handelten nicht rational, sondern, eben: überspannt.

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