Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Ein Buch hat Kapitel, ein Jahr hat Monate. Das ist auch 2019 so. Verdrängt man für ein paar Sekunden, dass Winter ist, erinnert man sich vielleicht noch an den Mai, wenn auch nur dunkel; ein Kapitel, in dem die 2019-Protagonisten noch in einem Farbfilm lebten. Der war auch nicht immer lustig, doch das Schwarz-Weiß schien noch sehr weit weg. Schön war das, paradiesisch eigentlich. Jetzt aber ist Dezember, und Dezember ist Panik, Dezember ist Vorhölle. Statt langsam die Handlungsstränge miteinander zu verbinden und zu einem irgendwie verträglichen Ende zu kommen, verdichten sich in diesem Monat das Rasen der Zeit und das Rasen der Menschen, die diese Zeit ja erst zum Rasen gebracht haben. Während die Tage bis zur Wintersonnenwende immer kürzer werden, muss und soll (und kann blöderweise auch) so viel erledigt werden, als würden die Tage in Wahrheit länger. Es beginnt Anfang Dezember damit, dass Termine für Freundeskreis-Essen und Firmenfeiern verschickt und angenommen und abgelehnt werden. Dazu ein weinender Smiley und eine verzweifelt-rhetorische Frage aus der Whatsapp-Gruppe: Heißt das jetzt, dass wir uns gar nicht mehr sehen bis Weihnachten?

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