Süddeutsche Zeitung

Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Winston Churchill, der große Stratege, hat mit seiner Entschlossenheit, Hitler-Deutschland die Stirn zu bieten und immer wieder Franklin D. Roosevelt zu bitten, ihm im Kampf gegen die Nazis beizustehen, Großbritannien gerettet. Und weil er schon mal dabei war, auch die ganze westliche Welt gleich mit. Churchill hat das geschafft, obwohl oder vielleicht auch weil er sich an vielen Tagen vom späten Vormittag an ein straff organisiertes alkoholisches Carepaket verordnet hat, das seine Inspiration mittels Champagner, Sherry, Rotwein und Whisky hoch hielt, während er von den Dampfwolken seiner Zigarren eingehüllt wurde. Churchills Lebens- und Arbeitsweise hinderte ihn nicht daran, eine mehrbändige Geschichte des Zweiten Weltkriegs und Biografien von Staatsmännern zu schreiben, für die er mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, und sie hinderte ihn auch nicht, 90 Jahre alt zu werden.

Man sollte nun nicht den Fehler machen zu überlegen, wie ein Mann wie Churchill den Brexit durchgezogen hätte oder ob dieser frühere Kriegsheld tatsächlich so infantil gewesen wäre, ein Referendum über den Brexit mit einer Abstimmung über sein Premierministerschicksal zu verknüpfen. Was man durchaus darf, ist, an dieser Stelle die Überlegung anstellen, ob Churchill jemals einen Satz gesagt hätte, den viele Menschen ständig sagen. Menschen, die wohl ein ungesundes Verhältnis zu ihren Lastern haben, ohne dass sie daran übrigens die geringste Aussicht auf Erfolg knüpfen können. Man kann sich nicht wirklich vorstellen, wie Churchill sich eine Zigarre ansteckte, eine Karaffe Sherry zum Tee reichen ließ und dann murmelte: Diese Zigarre muss die letzte sein! Dieser Sherry muss der letzte sein!

Eine abschließende Antwort auf die große Frage nach den letzten Dingen zu finden, ist nur wenigen Menschen gegeben. Und wer sich an seine Vorsätze für das neue Jahr erinnert und was in der Jahresbilanz dann daraus wurde, wird feststellen, dass er wie die allermeisten nicht zu diesen Auserwählten zählt. Insofern ist der Satz, den das Kandidaten-Duo für den SPD-Vorsitz Olaf Scholz und Klara Geywitz in einem Interview mit Bild an diesem Wochenende von sich gegeben hat, mit Vorsicht zu genießen. Die beiden sagten: "Diese Groko muss die letzte sein." Das klingt so beeindruckend entschieden wie dieser Satz immer klingt, wenn er mit der Zigarette in der Hand, der Sherry-Flasche unterm Arm oder der Chipstüte im Einkaufswagen an der Supermarktkasse formuliert wird. Der gefährliche Spaß, den man mit diesen Dingen hat, ist in diesem heroischen Moment weit weg. Mal sehen, was passiert, wenn Scholz und Geywitz nach der nächsten Wahl im Bundestagssupermarkt stehen und jemand winkt ihnen mit Chips und Zigarren zu und ruft: Hey, ein kleiner Sherry kann doch nicht schaden!

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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