Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Vor einigen Jahren machte sich an der Universität Erfurt eine Forschungsgruppe mit dem witzigen Namen "zell:kultur" daran, die Mediennutzung im Strafvollzug zu untersuchen. Ihre "qualitative Fallstudie" lief darauf hinaus, dass die Medien - und unter diesen besonders das Fernsehen - eine Brücke zwischen der Isolation in der Haft und der Gesellschaft darstellen und dass die Häftlinge die Medien "als Identitätsstifter und kulturelle Praxis nutzen, mithilfe derer sie ein Stück ihrer verloren gegangenen Autonomie zurückgewinnen wollen". Forschungsfeld war die thüringische Justizvollzugsanstalt Tonna, und was hier gilt, sollte auch dort gelten, wo Joaquín Guzmán Loera, wegen seiner Körperform auch "El Chapo" (der Kurze) genannt, einsitzt und auf bessere Zeiten wartet. In Anbetracht seines berüchtigten Freiheitsdrangs wird der mexikanische Drogenboss in den USA zwar gut bewacht, aber an medialer Rehabilitationshilfe fehlt es keineswegs. Genau an diesem Punkt setzt El Chapos jüngste Kritik an: Dauernd werde ihm eine Dokumentation über Nashörner gezeigt, und das unter insofern übelsten Umständen, als der Heimtrainer, auf dem er sich fit halte, so aufgestellt sei, dass er mit dem Rücken zum Fernseher sitze.

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