Glosse:Das Streiflicht

(SZ) Das Wischen als Kulturtechnik hat zuletzt schwer Fahrt aufgenommen. Gerade wenn man bedenkt, wie viel Schlechtes über das Wegwischen, Abwischen, Drüberwischen im politischen und industriellen Alltagsgeschäft gesagt worden ist. Das Wischen gehörte zu den Tätigkeiten, die sich im Halbdunklen abspielen, ausgeübt von den Liebhabern des Halbschattens, um Alfred Andersch zu zitieren. Die Welt war voller heimtückischer Wischer, die so taten, als ob jedes Problem gelöst werden könnte, indem es mit einer Handbewegung von der Tischkante gefegt wird, tunlichst ohne hinzusehen. Und nun gibt es schon vier Jahre die Dating-App Tinder, was mit Zunder übersetzt wird, und nichts geht dem Wischen plötzlich mehr voran als das genaue Hinsehen, der Wille, das Bild des potenziellen Partners auf seine Schwächen abzuklopfen und dann auf dem Tablet den entscheidenden Wisch vorzunehmen: rechts hot, links not, wie es in der Fachsprache heißt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: