Globales Klima:Wenn der Welt die Luft wegbleibt

Die Brände im brasilianischen Regenwald könnten tatsächlich gravierende Auswirkungen auf das Erdklima haben und die Erwärmung massiv beschleunigen.

Von Tobias Herrmann

Die Waldbrände im Amazonas-Regenwald sind nicht nur lokal eine Katastrophe. Sie könnten durchaus dramatische Auswirkungen auch auf das weltweite Klima haben und die globale Erwärmung massiv beschleunigen. Der im Norden Südamerikas gelegene, knapp sechs Millionen Quadratkilometer umfassende Amazonas-Regenwald spielt für das globale Klima eine entscheidende Rolle. Nicht umsonst wird er als "grüne Lunge" der Erde bezeichnet. Vereinfacht gesagt fungiert der Wald als gigantische Klimaanlage. Er entzieht der Luft große Mengen an schädlichem Kohlendioxid, liefert überlebenswichtigen Sauerstoff und sorgt durch Wolkenbildung für eine weltweite Abkühlung der Atmosphäre.

Die wichtigste Funktion ist indes die Kohlenstoffspeicherung. Der Amazonas-Regenwald ist das größte zusammenhängende tropische Waldgebiet und damit ein riesiger Kohlenstoffspeicher. "Pro Jahr nimmt er schätzungsweise 400 Millionen Tonnen Kohlenstoff auf und reduziert so die Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre", sagt Kirsten Thonicke, Forschungsgruppenleiterin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Expertin für Waldbrände und Waldökologie. Das geschieht durch Fotosynthese. Bei diesem physiologischen Prozess, der in den Blättern stattfindet, wird Kohlendioxid aus der Luft gefiltert und zusammen mit Wasser in organische Verbindungen umgewandelt. Diese werden dann zumindest zum Teil im Holz gespeichert. Grundsätzlich betreiben alle Pflanzen Fotosynthese, den Löwenanteil davon verrichten jedoch Bäume. Im Jahr 2014 beherbergte der Amazonas-Wald Schätzungen zufolge rund 400 Milliarden Bäume. Mittlerweile dürfte diese Zahl jedoch deutlich verringert sein, denn nach Angaben des WWF wird pro Minute eine Fläche von 35 Fußballfeldern abgeholzt. Die derzeit lodernden Waldbrände tragen ebenfalls zur Vernichtung von Bäumen bei. Besonders verheerend: Jeder Baum, der den Flammen zum Opfer fällt, kann nicht nur kein weiteres CO₂ aufnehmen, sondern gibt auch seine gesamte Menge an gespeichertem Kohlendioxid wieder in die Atmosphäre ab. "Je nach Größe kann ein einzelner Baum mehrere Tonnen Kohlenstoff enthalten", sagt Jost Lavric.

Er kennt die ökologischen Zusammenhänge im Regenwald genau, denn er ist Gruppenleiter am Jenaer Max-Planck-Institut für Biogeochemie und gleichzeitig wissenschaftlicher Koordinator von "Atto". Dabei handelt es sich um ein multidisziplinäres, langfristig angelegtes deutsch-brasilianisches Forschungsprojekt, das das Ökosystem des Regenwalds erforschen und verbesserte Klimamodelle liefern soll. "Im gesamten Amazonasgebiet sind etwa 150 Gigatonnen Kohlenstoff gespeichert", fügt Lavric hinzu. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass eine großflächige Vernichtung des Regenwalds unweigerlich zu einer erhöhten CO₂-Konzentration in der Luft und damit zu einer massiven Verstärkung der globalen Erwärmung führen würde.

Doch Bäume haben noch weitere Funktionen für das Klima. So regulieren sie auch den Wasserkreislauf. Im Regenwald herrscht ein tropisches, feuchtes Klima mit - wie der Name Regenwald nahelegt - hohen Niederschlägen. Bei starker Sonneneinstrahlung beginnen Bäume zu "schwitzen", ein einziger Baum kann dann bis zu 1000 Liter Wasser pro Tag in die Atmosphäre abgeben. "Starke Verdunstung führt zur Bildung riesiger Wolkenfelder. Die Wassermengen, die über die Atmosphäre transportiert werden, sind dabei enorm", sagt Thonicke. Im Englischen spreche man daher von "Flying Rivers". Südlich des Amazonas verursachen diese Wolken starke Niederschläge, was zu äußerst fruchtbaren Böden führt.

Die Waldbrände bedrohen auch die Artenvielfalt

Ohne Bäume bricht dieser Kreislauf zusammen. Hinzu kommt: "Die obersten Blätter des Regenwaldes bilden eine Art Dach, das die unteren Regionen von zu starker Sonneneinstrahlung abschirmt", sagt Thonicke. Fehlt dieser "Sonnenschirm", trocknet der Boden aus, weitere Bäume sterben ab, und die Waldbrandgefahr erhöht sich weiter, erläutert die Wissenschaftlerin.

Anfang Juli erst kamen Forscher der ETH Zürich zu dem Schluss, durch großflächige Baumpflanzungen könnten zwei Drittel der von Menschen verursachten CO₂-Emissionen aufgenommen werden. Wie die Wissenschaftler im Fachmagazin Science schrieben, müsse dazu in etwa eine Fläche von der Größe der USA neu bepflanzt werden. Ob das tatsächlich realisierbar ist, daran zweifeln doch einige Experten. Was dagegen unstrittig ist: Die Waldbrände sind nicht nur eine Bedrohung für das Erdklima, sondern auch für die Flora und Fauna in den Wäldern selbst. Der Regenwald gilt als ein Ort immenser Artenvielfalt und beherbergt Abertausende von Tieren und Pflanzen. Diese sind an Feuer nicht angepasst: Im Regenwald brennt es für gewöhnlich nicht. Viele Tier- und Pflanzenarten drohen daher, den Feuern zum Opfer zu fallen und für immer verloren zu gehen.

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