Diese Vermutung ist nicht unplausibel, wenn man Greenwald in München zuhört. Er sieht sich als Kämpfer gegen ein feindliches System. Im Januar sagte er dem New York Magazine, worum es ihm geht: "Wenn Trump sowohl der Anfangs- als auch der Endpunkt unserer Diskussionen über US-Politik wird, dann werden wir nie darüber diskutieren, warum Millionen Bürger im heutigen Wirtschafts- und Politsystem unter die Räder kommen und deswegen Trump gewählt haben."
Die Überzeugung, dass Hillary Clinton als Präsidentin kaum besser wäre als Trump, ist unter US-Linken oft zu finden. Auch die Grüne Jill Stein denkt so und hält Russiagate größtenteils für eine Ablenkung. Von Demokraten wird sie angefeindet, weil diese überzeugt sind, dass der Republikaner Trump nur deswegen im Weißen Haus sitzt, weil in Michigan und Wisconsin zehntausende Bürger für Stein votierten - und dies hätte Clinton den Sieg gekostet (in Wahrheit wären die meisten Stein-Wähler daheim geblieben, wenn sie nicht kandidiert hätte).
Zuletzt musste Stein viel Zeit investieren, um Dokumente an den Geheimdienst-Ausschuss des Senats zu übergeben. Dass sie 2015 am gleichen Gala-Dinner in Moskau teilnahm wie Trumps wegen seiner Russland-Kontakte geschasster Ex-Sicherheitsberater Mike Flynn und auch noch mit Wladimir Putin am Tisch saß, macht die Grüne für manche zur Agentin Russlands. Unterlagen zeigen jedoch, dass sie ihre Reise selbst bezahlt hat. Stein betont, dass sie kein einziges Wort mit Putin gewechselt habe, der ohnehin nur wenige Minuten im Raum war.
All dies sei eine "Schmutzkampagne" gegen sie, klagt die frühere Ärztin, weil sie die Wahrheit nicht verschweige. Wer darüber spreche, dass von der Steuerpolitik nur das oberste Prozent der Bevölkerung profitiere, wenige Milliardäre nach dem "Citizen United"-Urteil die Politik Spenden beeinflussten oder Gesundheitsversorgung als Grundrecht ansehe, dem werde vorgeworfen, "Russian talking points" zu verbreiten und die Gesellschaft spalten zu wollen.
Steins Klagen über die wachsende soziale Ungleichheit sind durch Studien gedeckt; selbst Forscher von Elite-Unis nennen die USA längst eine Oligarchie. Doch ihre Kritik wäre glaubwürdiger, wenn sie weniger häufig von "Amerikas Imperium" sprechen würde, das neben dem Militär auch aus den beiden großen Parteien und der US-Wirtschaft bestehe. Das klingt ziemlich nach Verschwörungstheorie.
Gewiss: Die Spitzen von Demokraten und Republikanern sind Kapitalisten, aber von allumfassenden Absprachen kann keine Rede sein. Und natürlich werden kleine Parteien in den USA stark benachteiligt, doch 2016 hat Bernie Sanders bewiesen, wie der richtige Kandidat mit der richtigen Botschaft Millionen begeistern kann. Noch heute erreicht der Senator aus Vermont mit seinen Facebook-Videos Millionen Zuschauer, während Steins letzter Clip in einer Woche 13 600 Mal geklickt wurde.
Das verführerische Gerede über ein "American empire"
An die Existenz eines allmächtigen "US-Imperiums" glaubt auch Abby Martin. Die 33-jährige Kalifornierin berichtet in München stolz davon, dass sie als Moderatorin von "Russia Today" live die Annexion der Krim kritisiert habe und trotz allem ein Jahr ihren Job behalten habe. Dass sie lange die Anschläge von 9/11 für einen "Inside Job" der US-Regierung hielt, erfahren die Zuhörer leider nicht.
Martins aktuelle Sendung "Empire Files" läuft auf dem englischen Kanal des lateinamerikanischen Senders Telesur, den konservative Amerikaner für ein Propaganda-Instrument Venezuelas halten. Dies sei Verleumdung, sagt Martin: Sie habe völlige redaktionelle Freiheit, wenn sie "aus dem Herzen dieses Imperiums" berichte. Ihre linke Agenda verbirgt Abby Martin nicht, wenn sie die USA als eine "Zwei-Parteien-Diktatur" bezeichnet.
Sie sieht sich als Aktivistin, die aufrütteln will. Irgendwie passt es zu diesem Abend, was Martin über den russischen Auslandsender RT sagt: "Es ist doch gut, wenn man weiß, was Russland denkt." Auch wenn deutlich mehr kritische Nachfragen der Diskussion gut getan hätten, so zeigen die Auftritte von Martin, Jill Stein und Glenn Greenwald, wie die amerikanische Linke denkt - und auch warum sie sich weiterhin so schwer tut.
Wer sich selbst ein Bild machen will, kann einen Mitschnitt der Diskussion mit deutschen Untertiteln vom 8. Mai an auf www.actvism.org ansehen.