Süddeutsche Zeitung

Gleichstellung der Sinti und Roma:Sieben kleine Worte

Es ist der sechste Anlauf, und diesmal soll es gelingen. In Schleswig-Holstein wollen die Parteien die Verfassung ergänzen - und damit den 5000 deutschen Sinti und Roma im Bundesland Schutz und Förderung garantieren. Die Gruppe soll der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe gleichgestellt werden.

Jens Schneider, Hamburg

So richtig mag Matthäus Weiß noch nicht daran glauben. "Wir haben es so oft versucht", sagt der Vorsitzende des Verbands der Roma und Sinti in Schleswig-Holstein, "24 Jahre kämpften wir dafür. Da bleiben einfach Zweifel." Es wird an diesem Mittwoch der sechste Anlauf sein, und diesmal soll das Vorhaben gelingen. Es geht dabei um, wie Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sagt, "sieben kleine Worte, die eine große Wirkung haben würden".

Es sind sieben Worte, die in Artikel 5 der Landesverfassung von Schleswig-Holstein aufgenommen werden und garantieren sollen, dass auch die Minderheit der deutschen Sinti und Roma "Anspruch auf Schutz und Förderung" hat. Sie würde der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe gleichgestellt.

In Deutschland leben etwa 70.000 Menschen, die sich zur Minderheit der Sinti und Roma zählen, in Schleswig-Holstein geht der Landesverband von rund 5000 aus. Die meisten leben in Kiel und Lübeck und im Hamburger Randgebiet. Sinti und Roma gehören in Deutschland bereits zu den geschützten Minderheiten. Die Aufnahme in die Landesverfassung aber wäre ein einmaliger Schritt.

"Es bedeutet uns sehr viel", sagt Verbandschef Weiß. Es sei ein Symbol, das mehr Sicherheit geben werde. Seit dem 15. Jahrhunderts leben Angehörige der Minderheit im Norden, wurden aber immer wieder ausgegrenzt und verfolgt. In der NS-Zeit starben etwa 400 Angehörige der Minderheit aus dem Land in Vernichtungslagern.

Für die Verfassungsänderung wird im Landtag eine Zweidrittel-Mehrheit gebraucht, in früheren Legislaturperioden scheiterte das Vorhaben an der CDU. Sie begründete ihre Ablehnung stets damit, dass die Sinti und Roma - anders als Dänen und Friesen - keine landesspezifische Minderheit sei. Diesmal reichen die Stimmen von SPD, SSW, Grünen, FDP und Piraten. Nun hat auch die CDU ihre Unterstützung zugesagt. "Die CDU-Fraktion reicht den anderen Fraktionen die Hand für eine in großer Einhelligkeit getragene Änderung der Verfassung", sagte Fraktionschef Johannes Callsen.

Chancen jüngerer Sinti und Roma verbessern

Nach der Gesetzesänderung werde ein Gremium unter Leitung des Landtagspräsidenten einberufen, das sich mit den Belangen der Sinti und Roma beschäftigen soll, erklärt die Minderheitenbeauftragte der Landesregierung, Renate Schnack. Unabhängig davon wird ein Projekt ausgebaut, das konkret die Chancen junger Sinti und Roma verbessern soll.

In Kiel betreuen seit einigen Jahren dafür ausgebildete Sinti-Frauen Kinder von Familien aus der Minderheit in den Schulen, damit sie regelmäßig zur Schule gehen und den Anschluss nicht verlieren. Viele Ältere können nicht lesen und schreiben, in den Familien wird mündlich ihre Sprache, das Romanes, weitergegeben. Es ist keine Schriftsprache, wird auch nicht in der Schule unterrichtet, die Minderheit lehnt das auch ab.

Die meisten Sinti und Roma haben keinen Beruf gelernt, viele leben von staatlichen Hilfen. "Die Kinder sollen die Chance haben, in beiden Kulturen bestehen zu können", sagt Schnack. Man müsse die Spirale von Abhängigkeit und Ausgrenzung durchbrechen. Viele Kinder landen schnell auf Sonderschulen, obwohl sie begabt sind und mehr erreichen könnten. Die Betreuer halten Kontakt zu Lehrern, nehmen an Zeugniskonferenzen teil. Gerade wurde mit der Ausbildung weiterer solcher Bildungsberater begonnen.

Auch eine einzigartige Wohnsiedlung im Kieler Stadtteil Gaarden soll dabei helfen: "Maro Temm", das steht in Romanes für "Unser Platz". In dieser staatlich geförderten Siedlung mit 13 Reihenhäusern leben Sinti-Familien seit fünf Jahren miteinander. Ihre Kinder werden von Betreuern unterstützt, wenn sie es wünschen. Maro Temm ist kein Idyll, die Betreuer ringen oft darum, dass Kinder überhaupt ausdauernd die Schule besuchen. Aber es gebe Erfolge, sagt Matthäus Weiß, der selbst Analphabet ist. "Unsere Nachkommenschaft soll Chancen haben, die wir nicht hatten."

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SZ vom 14.11.2012/feko
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