In Frankreich tobt der letzte Kampf zur Verteidigung des Abendlandes. Dieser Eindruck konnte in der vergangenen Woche entstehen. Zehntausende gingen auf die Straße, bei Ausschreitungen gab es drei Dutzend Verletzte und dreihundert Festnahmen. Ein Mann erschoss sich aus Protest in der Öffentlichkeit. Rechte versuchten, den Sitz der Regierungspartei zu besetzen, der Präsident der Nationalversammlung erhielt einen Drohbrief mit Schießpulver. Bei einer Gedenkfeier störten hysterische Zwischenrufer die Rede des Präsidenten, darunter 17- wie 70-Jährige.
Die französische Regierung lässt sich von alldem nicht beeindrucken. Wie geplant verabschiedete die Nationalversammlung am Dienstagabend die Loi Taubira, nun dürfen Schwule und Lesben in Frankreich heiraten und Kinder adoptieren. An diesem Mittwoch wollen in Montpellier zum ersten Mal zwei Männer heiraten - unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.
Die heftigen Reaktionen auf die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die in den vergangenen Tagen einen dramatischen Höhepunkt erreichten, haben viele Franzosen überrascht. "Woher kommt dieses Klima der Intoleranz?" fragt sich die linksliberale Justizministerin Christiane Taubira, nach der das Gesetz benannt ist.
"Was man nicht kennt, macht oft Angst"
Dass die Diskussion um die Mariage pour tous ("Ehe für alle") so aus dem Ruder gelaufen ist, hat auch damit zu tun, dass die Regierung aus Sozialisten, Grünen und Linken die Lage von Anfang an falsch eingeschätzt hat, erklärt Frank Baasner, Leiter des Deutsch-Französischen Instituts (DFI) in Ludwigsburg.
Umfragen zufolge befürworten mehr als 50 Prozent der Franzosen die gleichgeschlechtliche Ehe. François Hollande hatte im Wahlkampf versprochen, sie einzuführen und wollte dieses Versprechen nun rasch einlösen. Er übersah jedoch, dass die Mehrheit der Franzosen zwar für die "Ehe für alle" ist - aber trotzdem gegen das Adoptionsrecht homosexueller Paare.
Außerdem habe die Regierung ihr Vorhaben schlecht erklärt und keine überzeugenden Antworten auf die Verunsicherung vieler Bürger gehabt, sagt die Soziologin Irene Théry, die an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) lehrt. Der Großteil der Franzosen ist katholisch und lebt auf dem Land.
"Viele kennen keine Familie mit zwei Vätern oder zwei Müttern", sagte Théry dem Sender Europe 1. "Und das, was man nicht kennt, macht oft Angst. Das haben die Gegner des Gesetzes ausgenutzt."
Neben der katholischen Kirche und der konservativen Partei UMP kämpft vor allem die Organisation Manif pour tous ("Demo für alle") gegen das Gesetz, Organisationen wie die rechtsextreme Génération Idenditaire schlossen sich an. Die lautstarken Proteste sind auch Ventil einer allgemeinen Unzufriedenheit mit Hollandes Politik und Ausdruck großer Verunsicherung angesichts der desaströsen wirtschaftlichen Lage.
Als in Frankreich vor 14 Jahren die eingetragene Lebenspartnerschaft Pacs eingeführt wurde, protestierte nur das reaktionäre katholische Milieu. Heute kommen die meisten Gegner aus der Mitte der Gesellschaft - und sie betonen, dass es ihnen nur um den Schutz der Familie und der Kinder gehe. Offen homophobe Äußerungen sind selten.
Dass die Rechte in Massen auf die Straße geht und sich somit einen traditionellen Kampfplatz der Linken zu eigen macht, gibt ihr ein nie gekanntes Machtgefühl, sagt DFI-Leiter Baasner. "Das wirkt wie ein kollektives Besäufnis."
Weigerung, Homosexuelle zu trauen
Dieser Rausch schlägt sich in überschwänglichen Plänen nieder: Viele Gegner der "Ehe für alle" zeigen sich überzeugt, dass in den vergangenen Monaten eine "neue politische Generation" entstanden sei und die Protestbewegung von nun an eine feste Größe in der politischen Landschaft werde. Manif pour tous will um jeden Preis weiterkämpfen, bis die Regierung das Gesetz zurücknimmt.
Die Galionsfigur der ersten Stunde, Kabarettistin Frigide Barjot, hat sich hingegen von den Demonstrationen zurückgezogen. Sie wolle sich nun auf den Kampf gegen das Recht lesbischer Paare auf künstliche Befruchtung konzentrieren und plane nicht, Trauungen homosexueller Paare zu stören, sagte Barjot - eine Einstellung, die viele ihrer Mitstreiter als zu nachgiebig kritisieren.
Der nächste Eklat könnte von konservativen Bürgermeistern ausgehen; Gemeindevorsteher dienen in Frankreich auch als Standesbeamte. Mehr als 20.000 von ihnen haben eine Petition der Vereinigung "Bürgermeister für die Kindheit" unterschrieben. Sie wollen sich weigern, Homosexuelle zu trauen und damit den Kampf auf ihre Weise fortführen.