Süddeutsche Zeitung

Gleichberechtigung weltweit:Theorie gut, Praxis befriedigend - Ideen ungenügend

Frauen dürfen fast alles, müssen fast alles und machen fast alles. Dennoch liegen sie beim Gehalt hinter den Männern und machen selten Karriere - weil sich Klischee-Vorstellungen hartnäckig halten.

Barbara Vorsamer

Es ist wie mit einem leckeren Schokokuchen. Teilen ist super - aber nur, wenn das eigene Stück unangetastet bleibt. Ist der Kuchen zu klein, isst ihn der, dem er gehört. Die anderen kriegen nichts.

Mit der Gleichberechtigung ist es ähnlich. In westlichen Demokratien erfreut sie sich größter Beliebtheit. Fast alle Befragten - in Deutschland 97 Prozent - sind dafür, dass Männer und Frauen das Gleiche dürfen und müssen, wie eine international vergleichende Studie des Washingtoner Umfrageinstituts Pew Research zeigt. Klar, bei dieser Frage 'Ja' zu antworten, kostet nichts", sagt die Soziologin und Gender-Expertin Uta Meier-Gräwe von der Universität Gießen zu diesem hohen Wert. Dass Frauen außerhalb des Hauses arbeiten dürfen sollen, finden ebenfalls fast alle Befragten.

Ganz anders sehen die Antworten allerdings aus, wenn die Arbeitsplätze knapp sind. Einer von fünf Deutschen ist der Meinung, dass Männer in Zeiten der Arbeitslosigkeit bei der Jobsuche bevorzugt werden sollen. Eine akademische Ausbildung ist nach Meinung von 16 Prozent der Befragten wichtiger für Jungen als für Mädchen. Frauen und Männer unterscheiden sich hier kaum in ihren Antworten.

Auch dass Frauen in Deutschland im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, ist bekannt. Neu ist, dass sie es offensichtlich nicht anders wollen: Eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat ergeben, dass nicht nur die tatsächlichen Gehälter auseinanderklaffen, sondern auch die Ansprüche. Befragt nach ihrem "Wunschgehalt" gaben Frauen durch die Bank niedrigere Summen als Männer an - der Unterschied liegt ungefähr bei dem Fünftel, das Frauen auch tatsächlich weniger bekommen.

Wollen es Frauen also nicht anders? Sind sie selbst schuld? Der Schluss liegt nahe, dass die ganze Debatte überflüssig ist. Wir könnten uns zurücklehnen und unzufriedenen Frauen sagen: "Es liegt an euch. Es ist kein gesellschaftliches, kein strukturelles Problem und schon gar keine Diskriminierung durch die Männer. Nicht die Arbeitswelt, die Politik oder gar die Männer müssen sich ändern, sondern die Frauen selbst."

Auch die Frauen müssen sich ändern

Frauen, die sich diskriminiert fühlen, meinen genau das: Sie glauben, es sei ihr ganz eigenes, privates Problem. Deswegen kämpft jede für sich alleine, eine Verbündung oder Bewegung gibt es nicht. Und es stimmt, Frauen sind tatsächlich zu bescheiden. Doch nun zu sagen: Dann seid halt nicht mehr bescheiden, ist zu einfach gedacht.

Denn gerade weil die große Mehrheit so brav ist, ist es für die einzelne Frau umso schwieriger, sich anders zu verhalten. Frauen werden per se als angepasst wahrgenommen. Partner, Freunde, Chefs und Kollegen sind es so gewohnt und wollen es nicht anders. Wehrt sich dann eine Mitarbeiterin gegen zu niedrige Bezahlung oder gegen Geringschätzung, hat sie schnell den Stempel der Kampf-Emanze und Zimtzicke weg.

Das wollen Frauen nicht, sie wollen lieb gehabt werden. Lieber verzichten sie auf bare Münze (zur Erinnerung: 20 Prozent!) als auf die Zuneigung der Menschen, mit denen sie täglich zu tun haben.

Die Anpassung hat seit der Frauenbewegung der siebziger Jahre wieder zugenommen. Damals war es en vogue, eine schlechte Köchin zu sein, sich die Achseln nicht zu rasieren und sich stattdessen um Veränderungen in Politik und Gesellschaft zu kümmern. Heute sind Frauen zu beschäftigt mit Glätteisen, Nagellack und Bravsein - Sendungen wie Germany's Next Topmodel und Desperate Housewives stehen symptomatisch für die Gefallsucht der modernen Frau.

Auf den Fortschritt folgt der Rückschritt

Die Frauenbewegung in Deutschland gleicht der Soziologin Ute Gerhard zufolge einer "Springprozession": Jedem Fortschritt folgt ein Rückschritt. Auch nachdem die Ziele der ersten Frauenbewegung gesetzlich verankert wurden (Wahlrecht, Recht zu Arbeiten), folgte ein Rückzug ins Private. Nie war die Hausfrauenehre so groß geschrieben wie in den fünfziger Jahren. Derzeit findet ein ähnlicher Rückfall statt.

Manche hängen sogar dem Irrglauben nach, durch die Schiene à la Verona Pooth, Heidi Klum oder Paris Hilton Macht zu erlangen - doch es ist höchstens die Macht einer japanischen Geisha. Japan fällt in der Pew-Research-Studie zur Gleichberechtigung weltweit in verschiedenen Kategorien aus der Reihe. Es ist das einzige industrialisierte Land, in dem die Befragten mehrheitlich glauben, dass Frauen es besser haben. Überall sonst wird den Männern mehr Lebensqualität zugeschrieben. Auch sind die japanischen Frauen häufiger als Männer der Meinung, dass das angeblich starke Geschlecht bei der Jobsuche zu bevorzugen sei - überall sonst ist es umgekehrt.

Gender-Expertin Meier-Gräwe erklärt diesen Ausreißer mit dem extrem harten Konkurrenzdruck am japanischen Arbeitsmarkt, für den exemplarisch die hohen Suizidraten unter japanischen Arbeitnehmern stehen. Allerdings weisen Japan-Experten wie der Soziologe Florian Coulmas darauf hin, dass diese Zeiten "lange vorbei" vorbei seien. Mittlerweile sei die 40-Stunden-Woche auch in Japan die Regel - viele Angestellte verbrächten jedoch aus Solidarität und als Zeichen von Engagement viel Zeit im Büro. Diese Arbeitswelt scheint für manche Japanerinnen ein Bereich zu sein, in den sie gar nicht reinwollen: Wenn das Leben jenseits von Kinder, Küche und Kirche so aussieht, verzichten sie darauf.

Deutsche Damen wollen mehr Gleichberechtigung

In Deutschland wollen Frauen allerdings schon ein Stück vom Kuchen. Fast zwei Drittel der Befragten sind der Meinung, dass noch weitere Änderungen in puncto Gleichberechtigung notwendig sind - interessanterweise ein sehr viel höherer Anteil als in Ländern, die noch nicht so weit sind. Im Libanon, in China, Indien und Indonesien sind zwischen 47 und 58 Prozent der Meinung, dass die meisten Veränderungen in Richtung Gleichberechtigung abgeschlossen sind. "Je mehr Rechte Frauen bereits haben, desto weniger sind sie bereit, bestehende Einschränkungen zu akzeptieren", erklärt Meier-Gräwe.

In der Theorie dürfen Frauen in Deutschland fast alles. In der Realität müssen sie fast alles. Zum Beispiel ist laut Soziologin Meier-Gräwe bereits jede fünfte deutsche Frau die Familienernährerin - entweder, weil ihr als Alleinerziehende nichts anderes übrigbleibt oder weil sie tatsächlich mehr verdient als der Mann. Das traditionelle Lebensmodell mit dem Mann als Brotgeber und der Frau als Zuverdienerin existiert nur noch in den Köpfen. Dort allerdings, das zeigen die Ergebnisse der Pew-Research-Studie, hält es sich hartnäckig.

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