Führungsposten in Deutschland:Deutsch, männlich, weiß

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Allein unter Männern: Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack mit ihren Amtskollegen - sie ist die einzige Frau. (Foto: Michael Kremer/imago)

Ein Blick auf Regierungen, Gerichte und Interessensvertretungen zeigt, wie einseitig mächtige Gremien besetzt sind. Selbst im DFB-Präsidium hat nur ein Beisitzer Migrationshintergrund. Eine Staatsministerin will das Problem jetzt angehen.

Von Stefan Braun, Boris Herrmann und Henrike Roßbach, Berlin

In politischen Reden sieht die Welt nach wie vor gut aus. Ob die Kanzlerin spricht, ob prominente Ministerpräsidenten wie Armin Laschet, Markus Söder oder Winfried Kretschmann auftreten, ob es Sozialdemokraten sind, Grüne, Linke oder CDU-Vertreter - alle wollen Rassismus und Diskriminierung bekämpfen. Sie loben ihr liberales und weltoffenes Deutschland; und sie versprechen, den Ressentiments und der Ausländerfeindlichkeit der AfD entschieden etwas entgegenzusetzen.

Eines aber können sie trotz dieser Rhetorik kaum für sich in Anspruch nehmen: dass sie Vielfalt in politischen Ämtern, wichtigen Gremien und mächtigen Verbänden vorangetrieben hätten.

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Wo es um Macht und Einfluss geht, wird Deutschland noch immer vor allem von Menschen geführt, die keine ausländischen Wurzeln haben. Und das, obwohl laut Bundeszentrale für politische Bildung fast zwanzig Millionen Menschen mit solchen Wurzeln in Deutschland leben, rund die Hälfte von ihnen mit einem deutschen Pass. Was das bedeutet für das Gefühl von Zugehörigkeit, lässt sich erahnen.

Selbst im DFB-Präsidium hat nur ein Beisitzer Migrationshintergrund

Ein Blick auf die Bundesregierung und die sechzehn Landesregierungen zeigt das Problem exemplarisch. Seit der Regierungsbildung im Bund nach den Wahlen 2017 gibt es keine Ministerin und keinen Minister mehr, der eine andere als eine klassische deutsche Sozialisation erlebt hat. Selbst die Staatsministerin Aydan Özogus, bis 2017 zuständig für Integration, verlor ihren Platz am Kabinettstisch.

In den Ländern sieht es nicht anders aus. Nimmt man die Minister und Ministerpräsidenten aller sechzehn Bundesländer zusammen, dann dürfen sich 190 Menschen MinisterIn oder SenatorIn nennen. Einen anderen als einen deutschen Hintergrund bringen genau drei mit: der Hesse Tarek al-Wazir und die beiden Berlinerinnen Ramona Pop und Dilek Kalayci. Al-Wazir stammt von einem jemenitischen Vater ab, Pop ist in Rumänien geboren und Kalayci hat türkische Wurzeln. Nimmt man die Staatssekretärin Serap Güler aus Nordrhein-Westfalen dazu, dann sind es genau vier von fast 200. Als Vorbild, als Einladung, sich selbst mehr zu engagieren, dürfte das kaum etwas bewirken.

Nicht anders sieht es dort aus, wo die Politik wichtige Gremien besetzt, seien es Ethik- und Umweltrat oder die obersten Bundesgerichte. Nach wie vor gilt hier: vor allem Deutsch, mehrheitlich männlich, weiß.

Wo sollte Integration in dieser Gesellschaft funktionieren, wenn nicht im Sport? So sieht es jedenfalls der Sport selbst, allen voran der Fußball. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bezeichnet sich mit gewissem Stolz als "Anbieter der stärksten Partizipationssportart" im Land. Fast jedes fünfte DFB-Mitglied habe einen Migrationshintergrund, woraus der Verband die Prognose ableitet: "Jeder zweite deutsche Nationalspieler der WM 2030 dürfte also einen Migrationshintergrund haben." Daraus scheint sich bislang allerdings nicht die Idee abzuleiten, auch die Führungsriege der größten Partizipationssportart partizipatorisch zu besetzen. Lediglich einer der Beisitzer im 19-köpfigen DFB-Präsidium hat einen Migrationshintergrund, nämlich Panagiotis Chatzialexiou, ein Frankfurter mit griechischen Wurzeln, der den Bereich Jugend- und Talentförderung verantwortet.

Fortschrittlicher als der Sport sind in diesem Zusammenhang die Vorstandsetagen der Dax-Konzerne. Es sind natürlich eher die privilegierten als die stigmatisierten Zuwanderer, die in den großen Konzernen die Entscheidungen fällen. Gleichwohl ist festzustellen, dass sich hier der globalisierte Handel zumindest ansatzweise auch im globalisierten Handeln widerspiegelt.

In der Politik ist das Grundsatzproblem erkannt. So betont die Staatsministerin für Integration, Annette Widmann-Mauz (CDU), dass heute jeder Vierte in Deutschland eine familiäre Einwanderungsgeschichte habe. Vielfalt müsse sich deshalb auch in den Behörden widerspiegeln, sagte sie der SZ: "Nicht einmal 15 Prozent der Beschäftigten der Bundesministerien haben eine Einwanderungsgeschichte. Das muss sich ändern."

Weil Einzelmaßnahmen wie etwa anonymisierte Bewerbungsverfahren sich als nicht wirksam genug erwiesen haben, gibt es nun einen Sieben-Punkte-Plan der Integrationsbeauftragten, im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Integration. Darin sind etwa Budgets für mehr Vielfalt vorgesehen, Diversity-Checks oder auch, dass interkulturelle Kompetenzen bei der Personalauswahl stärker berücksichtigt werden sollen. "Es geht um mehr als eine bessere Einstellungspolitik", sagt Widmann-Mauz. "Es geht darum, die Vielfalt unseres Landes und seiner klugen Köpfe zu nutzen. Es geht um Unternehmens- und Behördenkultur, die Zukunft von Deutschland als wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort, um Chancen statt Gleichgültigkeit und Ausgrenzung." Immerhin die Integrationsbeauftragte ist offen für neue Wege.

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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