Süddeutsche Zeitung

Gleichberechtigung:Unter Männern

  • Nur jedes zehnte Rathaus in Deutschland wird von einer Frau regiert.
  • Laut einer Studie ist der Frauenanteil in der Kommunalpolitik so gering, weil hier traditionelle Rollenbilder noch sehr fest verankert sind.
  • Am Freitag treffen sich in Berlin 80 Frauen zum ersten Kongress der Bürgermeisterinnen. Sie wollen unter anderem Zeitmodelle diskutieren und Netzwerke bilden.

Von Ulrike Heidenreich

Die erste Stadtratssitzung verlief äußerst ungemütlich. Als die neu gewählte Bürgermeisterin ein paar Worte sprechen wollte, fuhr ihr der Amtsvorgänger über den Mund. "Er hat angefangen zu schreien, weil er anderer Meinung war. Als ich ihn des Saals verweisen wollte, sagte er, das sei sein Sitzungssaal", erzählt die Frau. Oder dieser Fall: Ein Ausschuss muss immer donnerstagabends tagen, weil ein langjähriger Gemeinderat da zwischen 17 und 19 Uhr zum Fußballtraining geht. Die neue Bürgermeisterin, Mutter von zwei kleinen Kindern, setzt erst nach hartnäckigem Kampf durch, dass sich der Gemeinderat früher trifft.

Es mag an Geschichten wie diesen liegen, dass nur jedes zehnte Rathaus in Deutschland von einer Frau regiert wird. Immerhin 80 dieser Spezies treffen sich an diesem Freitag in Berlin zum ersten Kongress der Bürgermeisterinnen. Beate Weber, von 1990 bis 2006 Oberbürgermeisterin in Heidelberg und die erste Frau in dieser Position in Baden-Württemberg überhaupt, hat mal gesagt: "Die Gleichberechtigung haben wir erreicht, wenn eine völlig unfähige Frau in eine verantwortungsvolle Position aufrückt."

"Sie sollen sozialer, fast mütterlich kommunizieren können"

Ob dies inzwischen geschehen ist, sei dahingestellt - sicher aber ist, dass die wenigen Frauen, die es in den Rathäusern auf die Chefsessel geschafft haben, über allerlei zusätzliche Fähigkeiten verfügen müssen. Fast alle sagen, dass sie mit höheren Erwartungen konfrontiert werden. "Sie sollen sozialer, fast mütterlich kommunizieren können. Sie dürfen sich keinen Fehler erlauben. Ihr Privatleben steht unter stärkerer Beobachtung als das von männlichen Bürgermeistern", sagt Helga Lukoschat, Geschäftsführerin der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF), die den Kongress veranstaltet.

Unter ihresgleichen werden die Damen bei der Tagung in Berlin wohl entspannter ihre Garderobe auswählen. Im Alltagsgeschäft müssen sie viel Energie für ihre äußere Erscheinung aufbringen. Nicht nur bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Farbe ihres Blazers und die Föhnwelle ihrer Frisur manchmal wichtiger als die politische Linie - auf kommunaler Ebene passiert das genauso. In der Studie "Frauen führen Kommunen. Eine Untersuchung zu Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Ost und West", die das EAF für die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer durchgeführt hat, sagt ein befragter Bürgermeister mit entwaffnender Offenheit: "Männer dagegen dürfen in einem noch so schlecht sitzenden Anzug rumlaufen, noch so übergewichtig und schmierig sein, das spielt alles keine Rolle."

"Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre"

Der Frauenanteil in der Bundes- und Landespolitik ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen; 36 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind mittlerweile weiblich. Auf kommunaler Ebene beträgt dagegen der Frauenanteil in den Gemeindegremien gerade mal ein Viertel. Landrätinnen bekleiden nur fünf Prozent der vergebenen Posten, zehn Prozent sind es bei den Bürgermeisterinnen. Bei den Oberbürgermeisterinnen ist der Anteil in den vergangenen Jahren sogar leicht gesunken. In den Spitzenpositionen der Wirtschaft verläuft die Entwicklung ähnlich; der Soziologe Ulrich Beck hat das als "verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre" bezeichnet. Hier wird nun immerhin öffentlich über Quoten in den Top-Etagen diskutiert. Die Besetzung der Bürgermeistersessel interessiert dagegen kaum.

Ungefähr 650 Bürgermeisterinnen gibt es in Deutschland. Warum es so wenige sind, versucht die Studie zu ergründen. 30 männliche und 30 weibliche Bürgermeister aus Ost und West standen den EAF-Forscherinnen Rede und Antwort - und berichteten von Sottisen wie eben jener, dass sich der Gemeinderat nach dem Fußballtraining eines Platzhirschen richten musste und die Verhaltensstarre nur schwer auflösbar war.

Erstes Nadelöhr auf dem Weg zum Chefposten im Rathaus ist der Studie zufolge das Nominierungsverhalten der Parteien selbst. Weil Frauen mit Familie ihre Zeit lieber daheim als in langatmigen Hinterzimmerveranstaltungen der örtlichen Parteigliederungen verbringen, sind sie zur richtigen Zeit oft nicht da. "Die Parteien haben Frauen nicht auf dem Schirm, höchstens wenn die Wahlchancen sowieso aussichtslos sind", sagt Helga Lukoschat. Die Untersuchungen der EAF haben ergeben, dass deutlich mehr Frauen in einer Konstellation nominiert werden, in der ein Wahlsieg als unwahrscheinlich gilt, weil die Partei schon lange in der Opposition ist - oder wenn der Amtsinhaber aus den eigenen Reihen als nicht mehr vorzeigbar gilt, zum Beispiel wegen eines Skandals.

Zweiter wichtiger Punkt ist die hohe zeitliche Belastung, die ein Top-Job im Rathaus mit sich bringt. Eine 60-Stunden-Woche ist nicht ungewöhnlich, Abende und Wochenenden sind selten frei. "Es ist ein Knochenjob, den Frauen mit kleinen Kindern schwer meistern können", sagt Helga Lukoschat. Und so ist der Nachwuchs der amtierenden Bürgermeisterinnen durchgehend älter. Anders ist das bei männlichen Bürgermeistern, so die Untersuchung. Sie haben jüngere und mehr Kinder als ihre Kolleginnen.

Bürgermeisterinnen sind weniger geschieden als ihre männlichen Kollegen

Sie sind aber, und das ist ein überraschender Beifang der Studie, häufiger geschieden. Etwa ein Viertel von ihnen lebt getrennt, bei den Bürgermeisterinnen sind es nur sehr wenige. "Eine Erklärung könnte sein, dass die Partnerschaft den zeitlichen Belastungen des Amtes nicht mehr gewachsen war, und dass Frauen nicht mehr bereit sind, die klassische Rolle der unterstützenden Ehefrau zu übernehmen", sagt die EAF-Geschäftsführerin. Ihre weitere Mutmaßung: Die Ehen von Bürgermeisterinnen seien stabiler, weil die Frauen sich von vorneherein Partner suchten, die gleichberechtigt die Familie mit organisieren wollten.

Drittes Hindernis auf dem Weg zur Karriere im Rathaus ist oft das mangelnde Selbstbewusstsein der Frauen. "Werden sie gefragt, ob sie kandidieren möchten, trauen sie sich das oft nicht zu, hadern mit der zeitlichen Belastung, auch wegen der Familie. Männer haben diese Skrupel seltener", sagt Lukoschat.

Bei dem Berliner Kongress wollen die Frauen neue Strategien finden, Netzwerke bilden und auch andere Zeitmodelle diskutieren. "Wer sagt, dass nicht zwei Frauen sich einen Posten im Rathaus teilen können?", fragt die Veranstalterin. Eine Kampagne "Beruf Bürgermeister" sei nötig, um das Image zu verbessern sowie ein nachdrückliches Auftreten zu trainieren, auch innerhalb der Parteien. Den Anfang macht schon mal das kulturelle Rahmenprogramm. Am Schluss der Tagung tritt das Improvisationstheater "Die Gorillas" auf.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2014/ahem
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