Gleichberechtigung:Ein gutes Jahr für die Homo-Ehe - aber nur im Westen

So viele Länder wie nie führten sie 2015 ein. Bei den Schwulenrechten aber gilt noch immer: Zwischen Ost und West verläuft ein eiserner Vorhang.

Von Benedikt Peters

Für heiratswillige Homosexuelle endet das Jahr 2015 mit einem Misston. Er kommt aus Südosteuropa: 63 Prozent der Slowenen stimmten kurz vor Weihnachten gegen ein Gesetz der Regierung in Ljubljana, die beschlossen hatte, die Homo-Ehe einzuführen. Die Slowenen müssen sich künftig wieder mit einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zufrieden geben, das ist auch in Deutschland die Rechtslage.

Ein Misston aber heißt nicht, dass die ganze Melodie vermasselt ist. Die klang 2015 für Befürworter der Homoehe nämlich durchaus gut - zumindest in der westlichen Welt.

Nicht nur Irland und die USA

Es begann an Neujahr. In Luxemburg trat das Gesetz zur Homoehe in Kraft (hier im französischen Wortlaut). Es hatte zuvor eine überwältigende Mehrheit im Parlament bekommen. Seitdem dürfen Homosexuelle in Luxemburg Kinder adoptieren und heiraten. Letzteres tat dann sogar der Regierungschef. Im Mai gab Ministerpräsident Xavier Bettel (42) seinem langjährigen Freund, dem Architekten Gauthier Destenay, das Ja-Wort. Es war das zweite Mal überhaupt, dass ein europäischer Regierungschef diesen Schritt wagte: 2010 hatte die damalige isländische Premierministerin Jóhanna Sigurðardóttir eine Frau geheiratet.

Ebenfalls im Mai zog dann Irland nach: Als erstes Land führte es die Homoehe per Volksentscheid ein - gut 62 Prozent der Teilnehmer sprachen sich für sie aus. In dem streng katholischen Land kommt das Ergebnis einer Revolution gleich. Seit Oktober ist das Gesetz nun in Kraft.

Celebrations Take Part Across Country As Supreme Court Rules In Favor Of Gay Marriage

Dieses Paar feiert die Entscheidung des US-Supreme-Courts, Homo-Ehen im ganzen Land einzuführen. Überhaupt: 2015 war ein gutes Jahr für die Befürworter.

(Foto: AFP)

In Mexiko war es eine Entscheidung durch die Hintertür

In den USA kam die Einführung der Homoehe per Gericht: Der Supreme Court entschied in einem vielbeachteten Urteil im Juni, sie im ganzen Land zu legalisieren. Kaum wahrgenommen wurde hingegen, dass im Nachbarland Mexiko eine ähnliche Entscheidung fiel: Hier legalisierte das oberste Gericht, die Suprema Corte de la Justicia de la Nación, das Gesetz gewissermaßen durch die Hintertür.

Die Richter entschieden, dass die Verbote der Homoehe in einigen mexikanischen Bundesstaaten gegen den Gleichstellungsgrundsatz der Verfassung verstießen. Er hob die Verbote zwar nicht auf. Homosexuelle Paare können aber seitdem unter Berufung auf das Urteil ihre Eheschließung juristisch erzwingen.

Die Stimmung in vielen anderen Ländern ist positiv

Noch nie gab es in einem Jahr so viele positive, landesweit geltende Entscheidungen zur Homoehe. Insgesamt sind es nun 21 Staaten, in denen sie legal ist. Geht man nach den Überzeugungen in den Bevölkerungen - in Demokratien soll das ja nicht ganz verkehrt sein - dürften es bald noch mehr Staaten werden. In Deutschland zum Beispiel liegen Politik und Bevölkerung über Kreuz. Während Homosexuelle keine Ehe schließen, sondern nur eine Lebenspartnerschaft eintragen lassen können, waren 2014 laut dem Umfrageinstitut Emnid 68 Prozent für die Homo-Ehe. In der Schweiz (ebenfalls eingetragene Lebenspartnerschaft) sind es nach einer Umfrage 63 Prozent, in Österreich sogar 73 Prozent. In Griechenland, das lange keinen rechtlichen Rahmen für homosexuelle Beziehungen vorsah, beschloss das Parlament kurz vor Weihnachten, eingetragene Lebenspartnerschaften möglich zu machen.

Solche Befunde sind es, die Evan Wolfson optimistisch werden lassen. Der US-amerikanische Jurist hatte über Jahrzehnte in den USA für die Einführung der Homo-Ehe gekämpft. Als der Supreme Court sie im Juni landesweit legalisierte, brach er in Tränen aus, so erzählt er es zumindest. Schon 2004 wählte ihn das Time-Magazine unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. "In Deutschland und vergleichbaren Ländern ist schon viel erreicht, es gibt stabile Mehrheiten für die gleichgeschlechtliche Ehe", sagt Wolfson. Als er mit seiner Arbeit angefangen habe, in den 1970er Jahren, sei das in den USA ganz anders gewesen. Alles was nun zu tun sei: Das Potenzial dieser Mehrheiten zu entfalten.

Ein tiefer Graben zwischen Ost und West

Völlig anders ist der Fall im Osten Europas. Slowenien war vor dem Referendum das einzige Land in der Region, das die Homoehe zuließ. Die Slowakei hingegen hat sie explizit ausgeschlossen: die Verfassung definiert die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau.

In Ungarn ist die Situation ähnlich, auch hier braucht es für eine Ehe qua Verfassung zwei verschiedene Geschlechter. Immerhin existiert das Recht auf eine eingetragene Lebenspartnerschaft. In Rumänien, Bulgarien oder Serbien etwa fehlt dieses. Für Homosexuelle gibt es dort keine Möglichkeit, eine Beziehung rechtlich schützen zu lassen. Den gleichen Kurs fährt Polen - und nach dem strammen Rechtsruck der Regierung unter der neuen Premierministerin Beata Szydlo dürfte sich das auch in Zukunft so schnell nicht ändern.

Religion, Kommunismus, Intoleranz

In Russland schließlich ist derzeit ebenfalls weder an die Homoehe noch an eingetragene Lebenspartnerschaften zu denken. Sexuelle Handlungen unter Männern oder Frauen sind zwar anders als in einigen asiatischen und afrikanischen Ländern nicht generell strafbar. Wohl aber gibt es Gesetze gegen "Schwulenpropaganda", mit denen etwa Teilnehmer von Demonstrationen bestraft werden. Die Zustimmung zur Homo-Ehe ist zudem sehr niedrig - in Russland lag sie 2010 bei 14 Prozent, in den meisten osteuropäischen Ländern sind es um die 20 Prozent.

Eine eindeutige Erklärung für das Phänomen lässt sich wohl nicht finden, dafür ist jedes Land zu unterschiedlich. Für den Sozialhistoriker und Osteuropa-Experten Ulf Brunnbauer spielen dennoch zwei Faktoren eine übergeordnete Rolle.

"Die Anziehungskraft der Religion ist in vielen Teilen Osteuropas stärker als im Westen", sagt der Sozialhistoriker. Sowohl die orthodoxe und die katholische Kirche als auch der Islam sehen Homosexualität kritisch. Der Kommunismus habe außerdem vielerorts eine vergleichsweise prüde Sexualmoral hinterlassen, zudem eine schwach ausgeprägte Zivilgesellschaft. "Im Westen ist die Toleranz schließlich auch nicht vom Himmel gefallen. Gesellschaftliche Gruppen, etwa die Lesben- und Schwulenbewegung, haben sie erkämpft", sagt Brunnbauer.

Es gebe Anzeichen, dass dieser Kampf in Zukunft auch in Osteuropa Früchte tragen könne - zum Beispiel in Serbien. In Belgrad seien in diesem Jahr zwei Regierungsminister bei der Gay Pride Parade mitmarschiert. Zudem hätten die Behörden dafür gesorgt, dass die Veranstaltung sicher ablief. Vor Jahren sei so etwas noch undenkbar gewesen. "Insgesamt", schlussfolgert Brunnbauer, "würde ich nicht zu pessimistisch sein." Vielleicht gilt das ja auch schon für das Jahr 2016.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: