FDP in der Krise:Wenn eine Partei eingeht

Alle Kräfte, die die FDP noch hat, steckt sie in die Selbstzerstörung: Die Liberalen fallen über ihren Vorsitzenden her, als sei dieser ganz allein schuld daran, dass die Partei verdurstet und verhungert. Dabei gehören viele von denen, die Westerwelle jetzt abserviert haben, mit zum Problem.

Heribert Prantl

Die FDP torkelt. Sie schleppt sich dahin ohne Ziel, ohne Hoffnung, ohne Proviant. Die Partei weiß nicht, wie lange sie das noch aushält, sie weiß nicht einmal mehr, ob sie es noch aushalten will. Ihr fehlt der Mut, ihr fehlt die Perspektive, ihr fehlt die Alternative, vielleicht auch der Lebenswille; sie ist dem Sterben näher als dem Leben. Die Kräfte, die sie noch hat, gebraucht sie zur Selbstzerstörung: Die Parteiliberalen fallen über ihren Parteichef her, als sei dieser ganz allein schuld daran, dass die Partei verdurstet und verhungert.

Das ist die Lage der FDP - im Jahr 1994; von damals stammen diese Beschreibungen. Damals hieß der Parteichef Klaus Kinkel, heute heißt er Guido Westerwelle. Westerwelle hat die Partei aus der Wüste hinaus, dann wieder hinein und dort dann im Kreis herumgeführt. Nun ist es am Schluss seiner respektabel langen Zeit wie einst bei Kinkel: Die FDP beschäftigt sich 2011 mit lustvoller Ausdauer damit, was sie schon damals, 1994, am besten konnte: mit Personaldebatten, Personaldebatten und noch einmal mit Personaldebatten. Und sie behauptet auch jetzt wieder, die Personaldebatte sei der Einstieg in eine Programmdebatte.

Die FDP will sich darum kümmern, wie liberale Politik in Zukunft aussehen soll. Genau das will sie angeblich schon seit zwanzig Jahren. Für die Westerwelle-FDP gilt, was einst der Rechtsgelehrte und frühere FDP-Innenminister Werner Maihofer über die Große Koalition der Jahre 1966 bis 1969 gesagt hat: "Große Worte überall, aber kleine Taten." Die Führungs- und Personaldebatte der Freidemokraten unterliegt einem error in persona: Das Problem heißt nämlich nicht nur und nicht in erster Linie Guido Westerwelle; es heißt auch Bundestagsfraktion; sie ist matt und unpolitisch.

Und viele von denen, die Westerwelle jetzt abserviert haben, gehören mit zum Problem: Haben sie Westerwelles Schwächen erst jetzt entdeckt? Wo waren sie, als die liberalen Bürgerrechtler an den Rand der Partei gedrängt und ihr Heil nicht mehr dort, sondern in Karlsruhe suchen mussten? Wo sind die Liberalen, die sich geschämt haben, als das Bundesverfassungsgericht viel rechtsstaatlicher war als die FDP? Ist die Dürre der Partei erst jetzt urplötzlich ausgebrochen? Hat Westerwelle die Klientelpolitik, die Steuersenkereien, das ganze freidemokratische Schlaraffenlandprogramm allein formuliert und diktiert? War er es ganz allein, der die FDP an die Union gekettet hat? Man kann sich Westerwelle wegdenken, ohne dass die Defizite der Partei entfielen. Die innerparteiliche Kritik an Westerwelle ist daher ebenso zutreffend wie wohlfeil.

Es ist ein Treppenwitz, dass Westerwelle soeben, just zum Finale seiner Zeit als Parteichef auf Staatsbesuch in China, eine große Ausstellung zur "Kunst der Aufklärung" eröffnet hat. Diese Kunst hat der Parteivorsitzende Westerwelle nicht beherrscht, das ist der Kern des heutigen Elends der FDP. Die Partei ist unmündig geblieben, sie ist unmündiger geworden als sie es je war. Jetzt sucht sie den Ausgang aus der Unmündigkeit, in dem sie Westerwelle mit der Luftpumpe verprügelt, mit der er sie einst aufgepumpt hat.

Noch eine Chance für die FDP

Aufklärung ist geistige Kraft, Aufklärung ist lustvolles Diskutieren, es ist Anrennen gegen falsche Autoritäten; Aufklärung ist die Verteidigung der Bürgerrechte, das Streiten für Emanzipation, Aufklärung ist die Verpflichtung der Staaten auf das Gemeinwohl. Es war so wenig Aufklärung in der FDP mit Westerwelle. Auf die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat die FDP keine Antwort gefunden, ja sie hat nicht einmal richtig gesucht. Es ist nun nicht so, dass die anderen Parteien da sehr stark wären; aber die FDP hatte als Wirtschaftspartei einen Ruf zu verteidigen; sie verlor ihn kampflos.

Die FDP am Ende der Ära Westewelle ist immer noch die FDP des Jahres 1997, als Generalsekretär Westerwelle begann, die Partei in den Griff zu nehmen: Steuererhöhung ist schlecht, Privatisierung ist gut. Der FDP fehlt der geistige Esprit - ihr fehlen die Nachfolger für Karl-Hermann Flach, Werner Maihofer, Ralf Dahrendorf. Die FDP hatte einmal, bei allen Schwächen, auch und gerade während ihrer chamäleonhaften Zeit, den Ruf, eine gescheite, ein kluge Partei zu sein. Das war anziehend. Diese Anziehung fehlt.

Noch eine Chance für die FDP. Vielleicht ist dieser Wunsch Nostalgie, wehmütige Erinnerung an eine Partei, die mehr war als ein Wagscheißerle: Sie war, in ihren guten und großen Zeiten (in denen sie eine kleine Partei, oft hart an der Fünf-Prozent-Grenze war), eine fruchtbare Opposition in der Regierung: In den konservativen Regierungen Adenauers und Erhards profilierte sich die FDP als Rechtsstaatspartei, in den sozialliberalen Regierungen Brandt und Schmidt als Hüter der Marktwirtschaft gegen den großen Koalitionspartner, der der Wirtschaft verdächtig war. Die FDP verkörperte und gewährleistete Kontinuität im wechselnden politischen Farbenspiel der Republik. In der Regierung Kohl begann die Verkümmerung; der liberale Weg ist seitdem der geistige Rückzug. Und selbst dabei wurden die Freidemokraten von den Grünen außer Tritt gebracht.

Man muss trauern um jede demokratische Partei, die verkümmert. Mit ihr verschwindet auch ein Stück demokratischer Tradition. Wenn eine Zeitung eingeht (wie dies gerade der Frankfurter Rundschau als einer ehedem überregionalen Zeitung ergeht) ist das ein Schlag für die Pressefreiheit. Wenn eine Partei eingeht (wie das der FDP droht), ist das ein Schlag für die Parteiendemokratie. Man würde gern auf solche Schläge verzichten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: