Afghanistan:Debatte um "Bleibe-Prämie"

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"Bleibe-Prämie"? Ein Bundeswehr-Soldat (links) und ein afghanischer Dolmetscher (rechts) im Gespräch mit einem Mann bei einem früheren Einsatz nahe Kundus. (Foto: Maurizio Gambarini/picture alliance/dpa)

Ortskräfte der deutschen Entwicklungshilfe erhalten ein Jahresgehalt extra, wenn sie in Afghanistan bleiben. Die Opposition kritisiert, das Angebot sei zynisch. Doch die Sache ist komplizierter.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten. "Abstoßend", urteilte die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, zu ähnlichen Einschätzungen gelangten Grüne und Linkspartei. Zuvor hatte der Spiegel über ein Angebot berichtet, das die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, kurz GIZ, ihren Ortskräften in Afghanistan unterbreitet hatte: Wer sich gegen die Ausreise nach Deutschland entscheide, erhalte eine "Extrazahlung" in Höhe eines Jahresgehalts. Wer diesen Weg wähle, so heißt es in einer internen Mitteilung von Mitte August, müsse nur eine entsprechende Vereinbarung mit der Eschborner Organisation schließen, die den Großteil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit abwickelt. Schnell war das Wort "Bleibe-Prämie" in der Welt.

Doch die Sache ist diffiziler. Ursprünglich, so heißt es aus dem Umfeld der GIZ, sei die Zahlung tatsächlich als Überbrückungshilfe gedacht gewesen - für den Tag, an dem sich die deutschen Auftraggeber würden zurückziehen müssen. Bevor die Taliban Afghanistan überrannten, hatten offenbar viele Ortskräfte noch geplant, im Land zu bleiben - etwa, weil sie Familienangehörige nicht im Stich lassen wollten.

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Auch mussten sie zu dem Zeitpunkt noch davon ausgehen, allein mit ihrer "Kernfamilie" ausreisen zu dürfen, also Ehepartner und minderjährige Kinder. Die Humanität, nicht nur volljährige unverheiratete Töchter, sondern auch Söhne mit ausreisen zu lassen, zeigte die Bundesregierung erst später. Unter dem Eindruck des Sturms auf Kabul, so heißt es, seien die Zahlen der Ausreisewilligen dann nach oben geschnellt: buchstäblich in Torschlusspanik. Inzwischen haben sich offenbar die allermeisten GIZ-Helfer entschieden, das Land zu verlassen. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Warum aber bestand die GIZ auf einer speziellen Vereinbarung mit denjenigen, die sich für das Jahresgehalt entscheiden? Das habe rein juristische Gründe gehabt, heißt es aus dem Entwicklungsministerium - als Grundlage für die Auszahlung. Wer sich und seine Familienangehörigen trotz so einer Abmachung noch nachträglich auf die Liste der Ausreisewilligen setzen lassen wolle, könne das jederzeit tun. Doch diese Liste ist jetzt schon sehr, sehr lang.

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