Es ist eine Kampfansage: Mit mindestens einer Milliarde Impfdosen wollen die führenden westlichen Industrienationen ärmeren Ländern helfen, die Corona-Pandemie zu bewältigen. Das kündigte der britische Premierminister Boris Johnson als Gastgeber des G-7-Gipfels am Freitag in Cornwall an. Die Staatengruppe möchte damit ihren Teil dazu beizutragen, die Weltbevölkerung bis möglichst Ende kommenden Jahres gegen das Coronavirus zu immunisieren.
Das Vorhaben richtet sich einerseits gegen die Kritik, der reiche Westen würde nur für sich Impfstoffe bereitstellen. "Ich hoffe, dass wir hier sehr gute Ergebnisse erreichen, um zu zeigen: Wir denken nicht nur an uns, sondern wir denken auch an diejenigen, die noch keine Chance haben, geimpft zu werden", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ankunft in Cornwall. Zum anderen geht es den G 7 darum, Staaten wie China und Russland ein starkes Signal entgegenzusetzen, die bereits weitaus mehr Vakzine in Entwicklungsländer geliefert haben als die westlichen Industrienationen.
Bis Sonntag kommen die Staats- und Regierungschefs der G 7 im Südwesten Englands zusammen. In dem Küstenort Carbis Bay wollen sie darüber beraten, wie die Pandemie überwunden werden kann, was gegen die Klimakrise zu tun ist und wie sich das Wirtschaftswachstum ankurbeln lässt. Nicht zuletzt geht es US-Präsident Joe Biden darum, zu zeigen, dass die Vereinigten Staaten nach der Amtszeit von Donald Trump als Vertreter des Multilateralismus zurück auf der Weltbühne sind. Für Biden ist der Besuch in Cornwall die erste Auslandsreise seit seinem Amtsantritt. Kanzlerin Merkel nimmt zum 15. Mal an einem G-7-Treffen teil, es wird wohl ihr letztes sein. Am 15. Juli wird sie von Biden in Washington erwartet.
Das Versprechen der Staatengruppe, mindestens eine Milliarde Impfdosen bereitzustellen, wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO begrüßt. Eine Sprecherin machte aber auch deutlich, dass dies nur ein Anfang sein könne. Jane Halton, die Co-Vorsitzende des Covax-Programms, das ärmeren Ländern Zugang zu Corona-Impfstoffen ermöglichen soll, erklärte, dass elf bis zwölf Milliarden Dosen nötig seien, um die gesamte Weltbevölkerung zu schützen. Bislang seien weltweit 2,2 Milliarden verabreicht worden und das zu mehr als drei Vierteln in nur zehn reichen Ländern. Auch UN-Generalsekretär António Guterres mahnte: "Eine Milliarde ist sehr willkommen. Aber offensichtlich benötigen wir mehr als das."
Allen voran die USA und Großbritannien weigerten sich bislang, Impfstoffe zu exportieren. In Cornwall kündigte Biden nun an, dass die Vereinigten Staaten 500 Millionen Impfdosen kaufen und spenden würden - also die Hälfte der einen Milliarde, welche die G 7 bereitstellen wollen. Geht es nach Biden, sollen 200 Millionen Impfdosen noch in diesem Jahr kommen, der Rest dann in der ersten Jahreshälfte 2022. Johnson erklärte, dass Großbritannien 100 Millionen Dosen abgeben werde; und zwar solche, die nicht für die britische Impfkampagne benötigt werden. Der Großteil davon soll im kommenden Jahr verteilt werden.
Angesichts der Impfstoff-Knappheit forderten die Nichtregierungsorganisationen Oxfam, World Vision und One die Bundeskanzlerin auf, dem Beispiel von US-Präsident Biden zu folgen und ihre Unterstützung für eine befristete Freigabe von Impfstoff-Patenten zu erklären. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte beim G-7-Gipfel zusammen mit Vertretern Südafrikas einen Vorschlag unterbreiten, wie der Patentschutz zeitweise aufgehoben oder geschwächt werden könnte. Man müsse "sicherstellen, dass geistiges Eigentum niemals ein Hindernis für den Zugang zu Impfstoffen darstellt", sagte Macron vor dem Treffen.
Indien und Südafrika hatten schon im Herbst bei der Welthandelsorganisation WTO die Forderung eingereicht, den Patentschutz für Corona-Vakzine und -Arzneien auszusetzen, um die weltweite Produktion zu erhöhen. Dann könnte zum Beispiel die Mainzer Firma Biontech nicht dagegen klagen, wenn andere Pharmakonzerne ihre Patente nutzen, um Covid-Impfstoff herzustellen. Anfang Mai verkündete die US-Regierung überraschend ihre grundsätzliche Zustimmung zu der Idee.
Einige EU-Regierungen, darunter die deutsche, lehnen eine Freigabe von Patenten ab. Ihr Argument: Der Aufbau einer Vakzin-Fertigung sei sehr kompliziert; ein Verzicht auf den Patentschutz werde nicht dazu führen, dass andere Pharmafirmen schnell eine Produktion ans Laufen bekommen. Zugleich mindere eine Freigabe die Anreize, in Forschung zu investieren. Die EU-Kommission unterbreitete daher einen eigenen Vorschlag bei der WTO. Demnach sollen Patentinhaber ermuntert werden, Lizenzvereinbarungen abzuschließen, also anderen Konzernen die Herstellung gegen eine Gebühr erlauben und ihnen beim Hochfahren der Fertigung helfen. Gelingt das nicht, soll es Regierungen vereinfacht werden, Zwangslizenzen zu erteilen. Was das Spenden von Impfstoff angeht, hat die EU bereits versprochen, bis Jahresende 100 Millionen Dosen abzugeben.