Süddeutsche Zeitung

Gipfeltreffen in Singapur:Trump und der Diktator, der seine Bürger versklavt

In Singapur preist der US-Präsident den "talentierten" Kim Jong-un als Mann, der sein Land liebe. Dass dieser in Nordkorea seine Macht mit Mord, Folter und Propaganda sichert - dazu sagt Trump kaum ein Wort.

Von Matthias Kolb

Als US-Präsident Donald Trump um 13.38 Uhr Ortszeit neben Kim Jong-un Platz nimmt, um das Kommuniqué nach dem historischen Gipfel in Singapur zu unterschreiben, ist er voll des Lobes. Selbstverständlich werde er den Nordkoreaner ins Weiße Haus einladen, die beiden hätten ein "exzellentes Verhältnis" zueinander aufgebaut und Kim sei "ein sehr talentierter Mann", der sein Land liebe, schwärmt Trump. Es sei eine "große Ehre", ihn zu treffen und beide würden zusammen "enormen Erfolg" haben. Viele Gespräche würden folgen, so Trump.

Wie sehr Kim den US-Amerikaner beeindruckt haben muss, wird durch die Wortwahl deutlich. Der 71-jährige bezeichnet den 37 Jahre jüngeren Nordkoreaner als "großartige Persönlichkeit" sowie als "sehr smarten und würdigen Verhandler" - mehr ist kaum möglich in Trumps Wortschatz und Weltbild. Kim hält sich bei der Zeremonie stärker ans Skript, aber äußert explizit seinen Dank gegenüber Trump. Und als die beiden den Saal im Singapurer Luxushotel verlassen, klopft er dem US-Präsidenten auf den Rücken.

Der 34 Jahre alte Kim hat damit bekommen, was seinem Vater und seinem Großvater, die ebenfalls als gottgleich verehrt wurden, verwehrt geblieben ist: ein Vier-Augen-Gespräch mit dem US-Präsidenten und damit Legitimität. Dass Trumps Vorgänger ein solches Treffen während ihrer Amtszeiten abgelehnt hatten, lag vor allem an der Art, wie das Kim-Regime seit Jahrzehnten mit unfassbarer Brutalität die 25 Millionen Nordkoreaner unterdrückt und schlimmste Menschenrechtsverletzungen begeht.

Einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2014 (damals regierte Kim Jong-un seit mehr als zwei Jahren) zufolge ist das Regime in Pjöngjang unter anderem für folgende Verbrechen verantwortlich: "Mord, Versklavung, Folter, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt, erzwungene Abtreibungen, Zwangsumsiedlung." Zudem werfen die UN Pjöngjang vor, die Hungersnot im eigenen Land bewusst zu verlängern, um die Kontrolle zu behalten.

Das Regime unterhält mehrere Straflager für politische Gefangene. In diesen Internierungslagern waren den UN-Schätzungen zufolge 2014 mindestens 120 000 Männer, Frauen und ganze Familien in Sippenhaft eingesperrt - ohne dass es zuvor eine Art von Prozess gegeben habe. Die Häftlinge werden regelmäßig gefoltert, vergewaltigt, zur Zwangsarbeit verpflichtet und offenbar so schlecht mit Essen versorgt, dass Häftlinge verhungert sind. Erzwungene Abtreibungen finden ebenso statt wie öffentliche Hinrichtungen. Daneben gibt es noch Umerziehungslager mit Zehntausenden Gefangenen.

Vor Kurzem schimpfte Trump über "verdorbenen Charakter" des Kim-Regimes

Wenig spricht dafür, dass sich die Menschenrechtslage in Nordkorea seit dem UN-Bericht verbessert hat. Und es bestehen keine Zweifel, dass Donald Trump weiß, wie Kim regiert. Vor viereinhalb Monaten, am 30. Januar 2018, nutzte der US-Präsident seine "Rede zur Lage der Nation", um der Führung in Pjöngjang einen "verdorbenen Charakter" zu attestieren. Damals warb er für "maximalen Druck" auf die "grausame Diktatur in Nordkorea" - ob Kim in der nun ausgehandelten Erklärung so viele Zugeständnisse gemacht hat, um diesen Sinneswandel zu erklären, scheint fraglich.

In seiner "State of the Union"-Rede stellte Trump die Eltern des US-Studenten Otto Warmbier vor, der 2015 in Pjöngjang festgenommen wurde, nachdem er ein Propaganda-Plakat als Mitbringsel abgerissen hat und zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Warmbier wurde während der Haft so schlecht behandelt, dass er kurz nach seiner Rückkehr in die USA im Juni 2017 verstarb.

Aus diesem Grund verklagen Cindy und Fred Warmbier Pjöngjang wegen "Mord und Folter". Trump bezeichnete Warmbiers Eltern damals als "wunderbare Zeugen einer Bedrohung, die unsere Welt bedroht". Die nun bei der Unterzeichnungszeremonie in Singapur hineingerufene Frage eines US-Journalisten "Haben Sie über Otto Warmbier gesprochen?" ignorierte Trump - wohl um die gute Stimmung nicht zu gefährden.

Stunden später gibt Trump in einem Singapurer Hotel eine Pressekonferenz und präsentiert sich als großer Staatsmann. Und die Menschenrechtsverletzungen? In seinem Statement dazu kein Wort, doch die erste Journalisten-Frage behandelt das Thema. Der US-Präsident betont, dass er nicht gesagt habe, "dass Kim nett und freundlich" sei und dass dieser sein Land "mit harter Hand" regiere. Darüber werde man zu gegebener Zeit reden.

Über Otto Warmbier sagt Trump, dass dieser nicht "umsonst" gestorben sei und bezeichnet dessen Eltern als "enge Freunde". Und was ist mit den mehr als 100 000 politischen Gefangenen in den Straflagern? Hierzu sagt Trump nicht viel mehr als, dass er glaube, Kim wolle auch an Menschenrechten arbeiten und dass auch sie "Gewinner" der Annäherung zwischen den USA und Nordkorea sein würden. Aber mehrmals betont er, dass die Denuklearisierung sein wichtigstes Ziel sei.

Ausführlich sprach der US-Präsident bei seiner "Rede zur Lage der Nation" Ende Januar in Washington auch über Ji Seong-ho, der auf der Zuschauertribüne des US-Kongresses saß und stolz hölzerne Krücken in die Höhe reckte. 1996 litt Ji so sehr an Hunger, dass er einige Stücke Kohle stahl, um sie gegen Essen tauschen zu können. Dabei wurde er von einem Zug überfahren und verlor ein Bein. Später wurde er vom Regime gefoltert und konnte schließlich nach Seoul flüchten, wo er sich nun um andere Deserteure und Flüchtlinge aus Nordkorea kümmert.

Christen werden als "besonders ernste Bedrohung" angesehen

Um die eigene Macht zu festigen, lässt Kim Jong-un ebenso wie sein Vater und Großvater seine innenpolitischen Feinde ebenso wie Mitglieder der eigenen Familie mit Hinrichtungen ausschalten. Das Institute for National Security Strategy, ein Thinktank des südkoreanischen Geheimdienstes NIS, schätzt, dass der von Trump nun so umschwärmte Kim mindestens 340 Leute hat exekutieren lassen.

Zu den prominentesten Opfern gehört Kims Onkel Jang Song-thaek, den Kim Jong-un zu Beginn seiner Amtszeit wegen Verrats töten ließ ("schlimmer als ein Hund") sowie Kims Halbbruder Kim Jong-nam, dem 2017 an einem Flughafen in Malaysia Nervengift ins Gesicht gesprüht wurde, wodurch er starb. Welche Botschaft die "großartige Persönlichkeit" Kim senden will, verdeutlicht die Tatsache, dass seit 2014 Verräter mit einer Flugabwehrkanone hingerichtet werden. "Nicht ein einziges Atom darf übrig bleiben", soll Kim befohlen haben.

In der Pressekonferenz betont Trump, dass er den Wunsch von Japans Premierminister Shinzo Abe erfüllt und hinter verschlossen Türen über das Schicksal der in den Siebzigern entführten Japaner gesprochen habe. Tokio hofft, dass diese Landsleute möglicherweise freikommen könnten - wobei Pjöngjang sagt, dass sie nicht mehr am Leben sind. Laut Trump wolle Kim sich um diese Angelegenheit kümmern.

In den Neunzigerjahren, als Kim Jong-uns Vater Kim Jong-il regierte, starben während einer Hungersnot Schätzungen zufolge zwei bis drei Millionen Menschen - und damals wurde die Ausgabe von Lebensmittel an die politische Loyalität geknüpft. Wer als kritisch auffiel, riskierte sein Leben. Diese Form des "absichtlichen Hungertods" wird laut UN-Bericht in den politischen Straflagern weiterhin angewandt; so sollen die anderen Häftlinge zu Geständnissen bewegt werden.

Desweiteren werden die Nordkoreaner einer niemals endenden Propaganda ausgesetzt; der UN-Bericht spricht von einer "allumfassenden Indoktrinierungsmaschinerie", die den Personenkult um Kim Jong-un betont. Zugang zum Internet oder zu westlichen beziehungsweise südkoreanischen Medien gibt es nicht.

Äußerst hart wird in Nordkorea gegen die meisten Religionen vorgegangen, wobei das Christentum als "besonders ernste Bedrohung" angesehen wird. In Nordkorea wird es Christen laut UN verboten, ihren Glauben auszuüben - auch deshalb hat die religiöse US-Organisation "Open Doors" die totalitäre Diktatur als "weltweit schlimmstes Land für Christen" bezeichnet.

Angesichts der enormen Unterstützung, die Donald Trump im Wahlkampf und auch während seiner bisherigen Amtszeit durch evangelikale Christen in den USA erhält, wäre es eigentlich zu erwarten, dass der Präsident dieses Thema gegenüber Kim Jong-un anspricht und mehr Freiheiten für Gläubige fordert. Doch auch dafür gibt es bislang keine Anzeichen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4012261
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/lalse/sekr/cat
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.