Gipfelerklärung:Klimaschutz per Fußnote

A scarecrow stands in a corn field in front of the Neurath coal power plant of German utility RWE in Neurath, west of Cologne

"Klimaneutralität bis 2050": Braunkohlekraftwerk der RWE in Neurath bei Köln.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Von ursprünglich großen Ambitionen der EU ist ziemlich wenig geblieben.

Von Karoline Meta Beisel, Matthias Kolb, Alexander Mühlauer

Sonderwünsche in Fußnoten zu verpacken hat bei Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs Tradition. Im Dezember 2016 zum Beispiel gelang es Polen, eine Fußnote mit einer Extrawurst in die Gipfelerklärung zu neuen Klimazielen hineinzuverhandeln. Darin sprachen die EU-Mitgliedstaaten dem Land ausdrücklich die Freiheit zu, seinen Energiemix selbst festzulegen. Dazu muss man wissen: Die Regierung in Warschau versteht unter "Energiemix" vor allem Kohle. Das hat sich seit 2016 nicht geändert. Und so war es am Donnerstagabend wieder Polen, das eine Fußnote in der Gipfelerklärung erzwang. Nur waren es diesmal die anderen EU-Staaten, die ihren Willen nur unter "ferner liefen" ausdrücken konnten.

"Für eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten muss Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden", heißt es nun in einer Fußnote unter der Gipfelerklärung. "Klimaneutral" bedeutet, dass der Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre durch neue Produkte oder Dienstleistungen nicht weiter erhöht wird. Der Haupttext enthält zwar noch andere Sätze zum Klima, etwa, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, weiter an einer klimaneutralen EU zu arbeiten, auch mit Blick auf die Zusagen im Pariser Klimaabkommen. Das Jahr 2050 aber, das konkrete Ziel, auf das sich immerhin 24 Staaten hätten einigen können, hat es nur in eine Fußnote geschafft. Damit haben sich Polen, Estland, Ungarn und Tschechien gegen die große Mehrheit durchgesetzt. "Wir haben schon jetzt verbindliche Klimaziele durch das Pariser Abkommen", sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zu Beginn des Gipfels. "Wir sind gegen eine Verschärfung." Einem hochrangigen EU-Beamten zufolge sei das Ziel gewesen, Einstimmigkeit zu erzielen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will das aber nicht als Scheitern verstanden wissen - sondern im Gegenteil sogar als Erfolg: Sie habe nicht damit gerechnet, "dass wir eine so breite Mehrheit für Klimaneutralität im Jahr 2050 bekommen. Insofern muss ich sagen, finde ich, dass es besser ist, als ich erwartet hatte", sagte sie am Freitag nach Ende des zweiten Gipfeltages. Auch SPD-Umweltministerin Svenja Schulze lobte: "Das ist ein großer Schritt für den Klimaschutz nach vorn." Die Bundesrepublik hatte selbst lange zu den Klimazögerern gehört, sich aber vor dem Gipfel ebenfalls für 2050 ausgesprochen.

Die Grünen nennen das Ergebnis eine "Schande"

Umweltverbände dagegen kritisierten das Ergebnis. Es sei schwer zu verstehen, dass vier Regierungen ambitioniertere Ziele für alle verhindern könnten, heißt es etwa in einer Stellungnahme des Climate Action Network. Wendel Trio, der Direktor der Organisation, nennt es "unverantwortlich", dass sich die Mitgliedstaaten nicht einigen konnten. Ska Keller, Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, spricht von einer "Schande": Viele Menschen hätten bei der Europawahl für mehr Klimaschutz in der EU gestimmt. Den Regierungschefs sei es aber offenbar wichtiger, wirtschaftliche Interessen zu schützen.

Ohne den Beschluss rückt auch die Möglichkeit in weite Ferne, beim Klimagipfel der Vereinten Nationen im September in New York ein neues Klimaziel der Europäischen Union präsentieren zu können und damit der Klimapolitik auf internationaler Ebene einen Schub zu geben. Wendel Trio vom Climate Action Network fordert die EU-Staaten darum auf, das Thema noch vor dem UN-Gipfel erneut auf die Agenda zu setzen.

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