Gipfel in Madrid:Mehr oder weniger Klimaschutz

Vor den entscheidenden Stunden des Gipfels in Spanien wächst der Frust bei Umweltgruppen, Klima-Aktivisten und Inselstaaten: Es droht am Ende ein Patt.

Von Michael Bauchmüller, Madrid

In ihrem Mail-Eingang fanden die Klimaaktivisten beim Gipfel in Madrid kürzlich merkwürdige Post: einen Leitfaden für die seelische Gesundheit. Angesichts aller Nachrichten rund um den Klimawandel seien "Klima-Trauer, klimabezogener Stress und Angst in unserer Gemeinschaft von Aktivisten häufiger geworden", heißt es da. Dagegen müsse man sich wappnen. "Akzeptiert, was Ihr nicht ändern könnt", steht darin, oder: "Seid einfühlsam zu den Menschen um euch herum. Jeder ist das Kind von irgendwem."

Wie es aussieht, werden sie diesen Ratgeber nun gut gebrauchen können. An diesen Freitag gehen die Verhandlungen beim Klimagipfel in die Schlussrunde, doch nirgends zeichnet sich ein Ergebnis ab, mit dem Umweltschützer auch nur halbwegs leben könnten. "Wir sind in einer Lage, in der Kernelemente des Paris-Abkommens über die Klippe fallen könnten", sagt Sven Harmeling, Klimaexperte der Hilfsorganisation Care. Die Ergebnisse könnten weit jenseits dessen liegen, was der Klimanotstand erfordere. Die Verhandlungen spitzen sich auf drei Streitpunkte zu. Am kompliziertesten sind sie rund um die Frage, wie ein globaler Kohlenstoffmarkt aussehen könnte. Investoren, die Geld in Klimaschutz in Entwicklungsländern stecken, könnten im Gegenzug Klima-Zertifikate erhalten, die sie dann wieder Industrieländern verkaufen können. Wer etwa eine Müllkippe saniert und so eine bestimmte Methan-Emissionen vermindert, würde im gleichen Umfang Zertifikate erlangen. In Industrieländern wiederum könnten diese Zertifikate Emissionen neutralisieren. Faktisch könnte der globale Norden so Teile des Klimaschutzes in den Süden verlagern. Umweltgruppen sehen das kritisch.

Der Streit jedoch wogt nicht um das Ob, sondern das Wie. So ist unklar, wie man Doppelzählungen vermeiden soll - damit gesunkene Emissionen in einem Entwicklungsland nicht zugleich von der Klimabilanz eines Industrielands abgezogen werden. Der EU schwebt ein System vor, ähnlich einer Banküberweisung: Jede Gutschrift für ein Konto müsste einem anderen Konto abgezogen werden. "Wenn einige Staaten sich für Doppelzählungen stark machen, dann unterminieren sie das Abkommen von Paris", warnte am Donnerstag Grenadas Umweltminister Simon Stiell. "Wir machen uns Sorgen um den Ausgang dieser Konferenz." Inselstaaten wie Grenada bangen um ihre Zukunft, sollte der globale Klimaschutz misslingen.

100 Staaten kündigen an, ihre Ziele anzuheben. Doch keiner der großen Emittenden ist dabei

Offen ist auch noch, was mit den Milliarden Zertifikaten passiert, die aus dem Kyoto-Regime stammen. Eine Reihe großer Schwellenländer will sie in das neue System überführen, zumindest zeitweise. Deutschland und die EU sind dagegen. "Das halten wir nicht für sinnvoll", sagt Deutschlands Chefverhandler Karsten Sach, "weil wir augenblicklich mehr tun müssen." Zertifikate aus der Vergangenheit hülfen da nicht. Tatsächlich dürften sie den Markt überfluten und eher den Klimaschutz hemmen. Unklar ist auch, wie es mit dem Ausgleich von Verlusten und Schäden weitergeht, auf den vor allem Inselstaaten und arme Entwicklungsländer angewiesen sind. Ein alter Streit kocht hoch: Die Industrieländer scheuen alles, was sie festnageln könnte auf Auszahlungen an die Ärmsten. Arme Länder dagegen wollen möglichst einen eigenen Fonds, aus dem Schäden infolge Klimawandels, etwa nach Dürren oder Überflutungen, beglichen werden können. Ein Kompromiss ist derzeit fern, verschiedene Optionen stehen im Raum. Denkbar wäre etwa eine Verknüpfung mit dem internationalen Klimafonds GCF, der eigentlich klimafreundliche Investitionen fördern soll.

Und dann ist da ein Thema, das die Klimaaktivisten selbst weit nach vorn geschoben haben: die rasche Anhebung der Klimaziele. Offiziell steht die erst nächstes Jahr an, doch der Ruf nach frühen Signalen wurde lauter. Zwar haben 100 Staaten schon höhere Ziele konkret angekündigt. Darunter ist aber keiner der großen Emittenten.

Dass das alles nicht reichen könnte, findet sich aber sogar schon in den Entwürfen für das Schlussdokument. Die Konferenz, heißt es da, "nimmt mit Besorgnis den Zustand des globalen Klimasystems zur Kenntnis".

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