Eine wichtige Etappe bei der Raketenabwehr, ein Plan für Afghanistan und eine neue Verteidigungsstrategie - das sind die wichtigsten Ergebnisse des Nato-Gipfels von Chicago. "Wir verlassen Chicago mit einer Nato, die stärker, leistungsfähiger und gewappnet für die Zukunft ist", sagte US-Präsident Barack Obama zum Abschluss des zweitägigen Treffen mit Staats- und Regierungschefs aus Mitglieds- und Gaststaaten.
Auf dem Lissabon-Gipfel 2010 habe man versprochen mehr zu tun, jetzt liefere man, sagte Obama mit Blick auf die Einigung zum neuen Verteidigungspaket "smart defence". Es umfasst eine Modernisierung der Allianz, eine stärkere Spezialisierung unter den 28 Partnern und den Aufbau eines Raketenabwehrschilds bis 2020. Neue Fähigkeiten und globale Partnerschaften sollten die Nato fit machen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, erklärte auch Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen .
Mit Tausenden Ausbildern und milliardenschweren Hilfen flankiert die Nato nach Ende des Kampfeinsatzes Ende 2014 den demokratischen Wiederaufbau in Afghanistan. Schon Mitte 2013 sollen afghanische Sicherheitskräfte im Verbund mit der internationalen Isaf-Schutztruppe die Kampfeinsätze gegen die radikalislamischen Taliban führen. Das bedeutet, dass die afghanischen Einheiten die Gefechte führen, Truppen der Isaf leisten aber noch Unterstützung. Der Kampfeinsatz der Allianz ist damit noch nicht beendet.
Obama, der insgesamt mehr als fünf Dutzend Spitzenpolitiker in seine Heimatstadt geladen hatte, zeigte sich von einem Erfolg des Afghanistankrieges überzeugt. Von den jährlich benötigten 4,1 Milliarden Dollar (3,2 Milliarden Euro) nach 2014 zur Finanzierung von Armee und Polizei soll die Regierung in Kabul mindestens 500 Millionen Dollar selbst aufbringen. Von 2024 an muss sie die Einheiten selbst unterhalten.
"Keine Sicherheitslücke" durch französischen Abzug
Für Ärger hatte das Ausscheren Frankreichs aus der Bündnissolidarität gesorgt: Präsident François Hollande will die Truppen schon Ende 2012 nach Hause holen. Mittlerweile sollen die Irritationen aber ausgeräumt sein: Dies betreffe nur die Kampftruppen, betonte Rasmussen. Ein Abzug sei problemlos möglich, weil das französische Kommando in Kapisa demnächst von den afghanischen Sicherheitskräften übernommen werde. Hollande betonte, es werde "keine Sicherheitslücke" entstehen. Zugleich sicherte er der Nato zu, dass Frankreich in der Isaf-Schutztruppe bleibe und bis Ende 2014 einen Beitrag leiste.
Ungeachtet des Vorstoßes Hollandes sieht Kanzlerin Angela Merkel kein grundsätzliches Problem in den Beziehungen zwischen Berlin und Paris. "Es gibt die Kontinuität der guten Zusammenarbeit. Das schließt unterschiedliche Positionen nicht aus", sagte sie. Zugleich bestritt die Kanzlerin, dass der französische Truppenabzug vom Hindukusch einen Abzugswettlauf unter den 50 Isaf-Partnern auslösen könnte. Noch am Sonntag hatte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vor einem solchen Szenario gewarnt.
Raketenabwehr ist teilweise einsatzbereit
Die 28 Bündnispartner stellten in Chicago auch die Weichen für milliardenschwere Rüstungsprojekte und eine enge Zusammenarbeit bei Entwicklung und Beschaffung. Bei der Raketenabwehr kam die Nato einen wichtigen Schritt voran: Das System - ein Schutzschild gegen Angriffe sogenannter Schurkenstaaten wie Iran und Nordkorea - ist in Teilen einsatzbereit. Russland machte schon vor dem Beschluss erneut seine strikte Ablehnung deutlich. Nato-Chef Rasmussen erneuerte derweil die Einladung an Moskau zur Zusammenarbeit.
Wegweisend für eine neue Ausrichtung der Nato sind vor allem Beschlüsse zu Rüstungsprojekten. Es ist eine enge Kooperation bei mehr als 20 Projekten geplant. Damit wird auch die Abhängigkeit der Allianz von den Militärfähigkeiten der USA reduziert: Das Bündnis will fünf unbemannte Mega-Drohnen beschaffen, mit denen eine Bodenaufklärung aufgebaut werden soll. Diese Schlüsseltechnologien konnten im Libyen-Krieg nur die USA liefern. Das neue Überwachungssystem zur Gefechtsfeldaufklärung (AGS) wird dagegen von 13 Nato-Staaten getragen, darunter Deutschland.
Keine Einigung gab es in den Gesprächen zwischen der US-Regierung mit Pakistan über eine Wiedereröffnung der Nato-Nachschubrouten für Afghanistan. Obama sprach jedoch nach einem "sehr kurzen" Treffen mit Pakistans Präsident Asif Ali Zardari von Fortschritten bei den Verhandlungen. Pakistan hatte die Routen geschlossen, nachdem vor einem halben Jahr 24 pakistanische Soldaten durch US-Luftangriffe getötet worden waren.
Die Proteste gegen den größten Gipfel in der 63-jährigen Geschichte des Bündnisses gingen am Montag weiter. Demonstranten zogen zur Zentrale des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns Boeing. Nach den gewalttätigen Ausschreitungen am Vortag blieb es friedlich. In der Nacht zum Montag waren 45 Personen festgenommen worden, wie die Polizei mitteilte.