Für das arme Äthiopien ist es das größte Bauprojekt seiner Geschichte. 1,5 Milliarden Euro soll die 240 Meter hohe Mauer kosten, die das Wasser des Omo-Flusses bald in einem 211 Quadratkilometer großen See aufstauen könnte. Die Regierung verspricht sich einen gewaltigen Entwicklungsschub, wenn Gilgel Gibe III, Afrikas höchster Staudamm, erst einmal Energie produziert. Politiker und Lobbyisten sind sich einig: Das Projekt ist die Chance für das Land am Horn von Afrika. Nachteile? Fehlanzeige - sagen Politiker und Wissenschaftler in der Hauptstadt Addis Abeba. Allenfalls ein paar "Problemchen" sieht der Chef der äthiopischen Umweltbehörde. Wasserkraft, so heißt es meist, sei schließlich eine klimafreundliche Energiequelle - und mit dem Stausee bekäme das Land noch ein Reservoir von zwölf Milliarden Kubikmeter Trinkwasser geschenkt.
Doch der gigantische Bau gehört neben den Belo-Monte-Dämmen in Brasilien und den Narmada-Dämmen in Indien zu den weltweit umstrittensten Wasserkraft-Projekten. "Bei Planung und Bau der Gibe-Dämme werden die Rechte Hunderttausender Menschen missachtet - das ist alles andere als ein kleines Problemchen", sagt Lindsay Duffield von der Menschenrechtsorganisation Survival International. Entgegen äthiopischer Gesetze seien die indigenen Völker im Südwesten des Landes nicht einmal über die Baupläne informiert worden. Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Baupläne gab es keine. Mehr noch: "Kritische Stimmen bekämpft die Regierung mit harter Hand", sagt Duffield.
Internationale Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen laufen Sturm gegen das Milliarden-Projekt am Omo-Fluss. Sie sehen das Leben einer halben Million Menschen in Gefahr - und ein fragiles Ökosystem bedroht. Wird der natürliche Lauf des Omo unterbrochen, "verursacht das Hunger und schürt Konflikte unter den Stämmen, die seit Jahrtausenden vom Fluss leben", prophezeit Peter Bosshard, Direktor der Umweltschutzorganisation International Rivers. Die Stauanlagen Gibe I und II setzten das Ökosystem bereits "unter starken Druck".
Zwar hat Äthiopien die Arbeitsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen im Land per Gesetz stark eingeengt, aber längst wird der Widerstand international organisiert. So hat sich ein breites Bündnis aus mehr als 300 Gruppen gegen das Projekt formiert, das eine italienische Firma ohne vorherige Ausschreibung seit 2006 vorantreibt. In einer weltweiten Kampagne fordert das Bündnis einen sofortigen Stopp des Staudammbaus. Tausende Unterschriften überreichen sie an diesem Dienstag, dem Weltwassertag, an Äthiopiens Botschafter in Berlin, Brüssel, London, Paris und Washington.
Es ist nur eine von vielen Aktionen gegen das Projekt. "Unsere Argumente haben schon einige Investoren zum Umdenken gebracht", sagt Lindsay Duffield. Doch obwohl der Protest gegen Gilgel Gibe III nicht abreißt und auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen die Staudämme kritisiert, hält die äthiopische Regierung eisern an ihren Plänen fest: In zwei Jahren sollen die Einnahmen durch den Energie-Export nach Kenia, Sudan und Dschibuti sprudeln.
Dabei warnen Beobachter, dass der Stromexport längst nicht sicher sei. Die nächsten Strommasten jenseits der äthiopischen Grenzen stehen mehr als 500 Kilometer entfernt. Ein Ausbau des Netzes sei derzeit nicht absehbar. Die Äthiopier planen dagegen schon den nächsten Exportschlager, indem sie große Teile des Flusstals an ausländische Unternehmen verpachten, die dort Pflanzen für Biokraftstoffe anbauen wollen.
Während die äthiopische Regierung verspricht, das untere Omo-Tal, eine der weltweit am wenigsten entwickelten Regionen, am neuen Reichtum zu beteiligen und Arbeitsplätze etwa im Straßenbau und Hotelgewerbe zu schaffen, sehen internationale Beobachter diese Ankündigungen skeptisch. "Für die Fischer, Bauern und Viehzüchter am Omo gibt es keine konkreten Entwicklungspläne", warnt Lindsay Duffield. "Der Strom wird nach Addis Abeba und vielleicht ins Ausland fließen, aber nicht in die Dörfer am Omo - die Stämme werden leer ausgehen und künftig zu Bettlern degradiert."