Süddeutsche Zeitung

Franziska Giffey:"Schön, dass wir hier sind"

  • Bundesfamilienministerin Franziska Giffey erhält eine Rüge von der FU Berlin, darf ihren Doktortitel aber behalten.
  • Nachdem die Plagiatsvorwürfe so verarbeitet worden sind, gilt Giffey als Hoffnungsträgerin der SPD.
  • Sie könnte eine Bewerberin für die Nachfolge von Michael Müller, Berlins Regierendem Bürgermeister sein.
  • Als Parteivorsitzende wolle sie nicht antreten, wiederholt die Familienministerin.

Von Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin

Der Zufall wollte es so, dass die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer beide Male dabei war. Am 15. August war sie es, die der Öffentlichkeit mitteilte, dass Bundesfamilienministerin Franziska Giffey nicht kandidieren werde für den SPD-Vorsitz, wegen der noch nicht abgeschlossenen Überprüfung ihrer Doktorarbeit. Sie schätze Giffey sehr, sagte Dreyer damals in ihrer Funktion als Interimsvorsitzende der SPD, und dass sich die Geradlinigkeit der Ministerin "auch in diesem Schritt" zeige. Nun, zweieinhalb Monate später, war es wieder Dreyer, die an einem wichtigen Punkt in Giffeys Karriere live dabei war. An einem Punkt, der im Übrigen auch für die Sozialdemokraten noch ziemlich bedeutsam werden könnte. "Es ist wirklich eine ganz tolle Geschichte heute morgen", sagte Dreyer am Donnerstag in Mainz.

Ihre Stellungnahme wurde per Livestream übertragen. Neben ihr zu sehen war die Bundesfamilienministerin, die aus Berlin angereist war, um den vierzehnten Gute-Kita-Vertrag mit einem Bundesland zu unterzeichnen. Was Dreyer mit "ganz tolle Geschichte" meinte, sind die etwa 269 Millionen Euro, die Rheinland-Pfalz vom Bund für die Kitas des Landes bekommt. Die eigentliche "ganz tolle Geschichte" aber war natürlich eine andere.

Denn nicht einmal 24 Stunden zuvor hatte die Freie Universität Berlin mitgeteilt, dass Giffey ihren Doktortitel behalten dürfe. Giffeys Arbeit "Europas Weg zum Bürger" habe zwar Mängel, weshalb eine Rüge ausgesprochen werde. Weil der empirische Charakter aber im Vordergrund gestanden habe, handle es sich trotzdem um eine "eigenständige wissenschaftliche Leistung".

Rücktritt stand im Raum

"Schön, dass wir hier sind", sagte eine besonders freundlich lächelnde Franziska Giffey am Donnerstag in Mainz. Das sagt sie zwar so gut wie bei jedem ihrer zahlreichen Vor-Ort-Termine. Dieses Mal aber dürfte sie es noch ein bisschen ehrlicher gemeint haben als sonst. Denn die gute Nachricht der Universität bedeutet für sie, dass sie nicht nur da ist - sondern bleiben wird. Hätte sie ihn verloren, das hatte Giffey bei ihrer Absage in Sachen SPD-Vorsitz deutlich gemacht, wäre sie von ihrem Amt zurückgetreten.

Nun aber ist vieles wieder möglich. Klar ist, dass Giffey sich manches zutraut. Und ihre Partei betrachtet sie inzwischen nicht mehr nur als heimliche, sondern beinahe schon als offizielle Hoffnungsträgerin. Was Giffey auszeichnet, ist ihre Andersartigkeit. Es gibt nicht viele Bundespolitiker mit einem derart ausgeprägten Talent für Ortstermine. Wer mit ihr unterwegs ist, der erlebt eine Politikerin, die in kürzester Zeit Nähe herstellen kann - egal, mit wem sie spricht. Auch wenn sie eine Rede hält, hat sie den Saal ziemlich schnell im Griff. Sie, die Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln war, bevor sie urplötzlich in ein Bundesministerium katapultiert wurde, hat das Bodenständige nicht verloren. "Wie geht es Ihnen?" fragt sie nicht nur, wenn sie Menschen trifft, sondern will es wirklich wissen. Und das kommt an, weil es selten ist im Berliner Politikbetrieb.

Die Frage ist, wie es für die vom Damoklesschwert der Doktorarbeit befreite Politikerin nun weitergehen wird. Doch noch der Parteivorsitz? Oder lieber den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), beerben?

Die erste Variante räumte Giffey am Donnerstag gleich selbst ab. Sie habe sich bewusst entschieden, nicht in das laufende Verfahren zur Findung einer neuen Parteispitze einzusteigen, sagte sie in Mainz. Dabei werde sie nun auch bleiben. Für die zweite Variante aber spricht einiges, denn Berlin ist Giffeys Heimathafen, ihr Kiez. Hier kennt sie sich aus, und für eine Sozialdemokratin, die Sicherheit und Recht und Ordnung nicht für unsozialdemokratisch, sondern für zwingend hält, gäbe es in Berlin einiges zu tun.

Für den Parteivorsitz ist es für Giffey jetzt zu spät

So oder so: In der SPD zeigt man sich am Donnerstag erleichtert darüber, dass Giffey ihren Doktortitel behalten kann - und gleichzeitig empört über die monatelange Hängepartie. "Sie gehört klar zu unseren größten Talenten", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, mittlerweile ausgeschiedener Kandidat für den Parteivorsitz, der Süddeutschen Zeitung. "Dieser Stein ist jetzt für sie aus dem Weg gerollt." Er bedauere jedoch, dass die Entscheidung der Freien Universität Berlin so spät gefallen sei. Auch Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, kritisierte im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland die Dauer der Prüfung durch die Universität als "unerträglich".

Schon seit Februar war die Universität Plagiatsvorwürfen nachgegangen. Für den Parteivorsitz ist es dadurch jetzt zu spät für Giffey. Die SPD soll eine Doppelspitze bekommen. Die Bewerbungsfrist ist abgelaufen.

In 23 Regionalkonferenzen haben Bewerberteams sich den Mitgliedern vorgestellt, die dann abgestimmt haben. Bundesfinanzminister Olaf Scholz und seine Parteikollegin Klara Geywitz aus Brandenburg treten nun gegen die Digitalpolitikerin Saskia Esken und den früheren Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, in der Stichwahl an. Die eigentliche Wahl findet auf dem Parteitag im Dezember statt. Wenn Giffey gewollt hätte, hätte sie dort zwar als Kandidatin antreten können. Sie hätte sich damit aber gegen das Mitgliedervotum stellen müssen. Und dafür ist Giffey, die viel und gern von Fairness, Werten und Haltung spricht, eher nicht der Typ.

Geywitz: Kein Frauentausch bei der SPD

Für Ärger in der SPD sorgen Äußerungen des SPD-Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer. Er hatte der SZ gesagt, Klara Geywitz könne zugunsten Giffeys verzichten und die Familienministerin dann mit Scholz antreten. Dieses Duo wäre das "überzeugendste Team". Empörter Widerspruch kommt von Saskia Esken aus dem Konkurrenzteam um den Parteivorsitz: "Ich bin der Meinung, die Frauen in der SPD haben eine andere Rolle, als Schachfiguren im Spiel der Männer zu sein."

Klara Geywitz selbst sagte der SZ: "Axel Schäfer hat wohl etwas unglücklich versucht, seine Freude darüber auszudrücken, dass Franziska Giffey als Familienministerin einen guten Job macht", so die Kandidatin, "Frauentausch ist aber ein bewährtes RTL-2-Format und sollte nicht auf die SPD übertragen werden."

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