Süddeutsche Zeitung

Gibraltar:Der Felsen will dazugehören

Gibraltar kämpft gegen den Brexit und fürchtet, zu einer nicht-europäischen Insel zu werden.

Von Daniel Brössler, Brüssel

In der Europäischen Union bleiben oder gehen? Die Briten sind gespalten, was das angeht. Alle Briten? Der Chefminister sitzt unter einem Foto von Königin Elisabeth II. und verkündet die "vollständige Einigkeit der politischen Klasse". Im Namen seiner Bürger könne er sagen: "Sie wollen Teil des europäischen Projekts sein."

Chefminister Fabian Picardo ist Regierungschef von Gibraltar, dem britischen Überseegebiet an der Südspitze der Iberischen Halbinsel. Er ist nach Brüssel gereist, um klarzustellen: "Wir sind hier, um zu sagen, dass wir bleiben wollen." Picardo spricht vor zwei Fahnen - jener Gibraltars und jener der EU.

Im Drama um das britische EU-Referendum am 23. Juni bildet der Felsen im äußersten Süden des europäischen Kontinents die Kulisse einer Seitengeschichte, die den Betroffenen Angst einjagt. "Meine Bürger sind besorgt angesichts der Unsicherheit, was passiert, wenn das Vereinigte Königreich entscheidet, die EU zu verlassen", sagt er.

So viel ist klar: Die knapp 33 000 Bewohner Gibraltars, zum großen Teil Bürger Großbritanniens, würden sich dann an einer EU-Außengrenze wiederfinden - voraussichtlich überdies an einer äußerst unfreundlichen. Spaniens geschäftsführender Außenminister José Manuel García Margallo habe doch schon angekündigt, im Falle des Brexit die Sektkorken knallen zu lassen und persönlich die Tore nach Gibraltar zu schließen, beschwert sich Picardo. Die Grenze ist Gibraltars einzige Landverbindung zum Rest der Welt. Der letzte, der sie geschlossen habe, sei Franco gewesen, erinnert der Chefminister.

Sollte das Nein-Lager gewinnen, stünde die Jahrhunderte alte Gibraltar-Frage wieder auf der Tagesordnung. Das kleine Gebiet war 1713 im Vertrag von Utrecht an England übergegangen - aus spanischer Sicht ein Relikt aus Kolonialzeiten. Innerhalb der EU freilich haben beide Länder einen Modus Vivendi gefunden.

Die europäischen Verträge gelten laut einer Protokollerklärung Spaniens und Großbritanniens für Gibraltar als " europäisches Gebiet", wiewohl das keine "Änderungen der jeweiligen Standpunkte" bedeute. Ein Brexit werde, wie der britische Außenminister Philip Hammond bei einem Besuch des Felsens warnte, Londons Möglichkeiten, die Interessen Gibraltars zu verteidigen, "ernsthaft beeinträchtigen".

Picardo will nicht glauben, dass es dazu kommen könnte. Am Sakko trägt er den "I'm in"-Button des britischen Pro-EU-Lagers und plädiert vor der Abstimmung, die auch in Gibraltar abgehalten wird, für Selbstvertrauen: "Diejenigen von uns, die wollen dass das Vereinigte Königreich in der EU bleibt, sollten nicht davor zurückschrecken, dafür einzutreten". Seine Bürger jedenfalls wollten den Zugang zum Binnenmarkt mit 500 Millionen Menschen nicht verlieren.

Gegen den Ruf, der Felsen beherberge mehr Briefkastenfirmen als Einwohner, kämpft Picardo tapfer an. Gibraltar halte sich "vollständig an die Regeln des EU-Clubs". Und in dem wolle man Mitglied bleiben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3007741
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.05.2016/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.