Süddeutsche Zeitung

Gezerre um EU-Spitzenpositionen:"Erratischer Zirkus"

Es sollte ein Gipfel der Personalentscheidungen werden, doch es fielen nicht einmal Namen: Die Teilnehmer sind enttäuscht. Kanzlerin Merkel sucht nach einer wissenschaftlichen Erklärung.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Ein Gipfel der Personalentscheidungen sollte es werden - am Ende wurde nicht ein einziger Name genannt und man vertagte sich. Am 30. August wollen die 28 Staats- und Regierungschefs nun in einem zweiten Anlauf versuchen, sich darauf zu einigen, wer die am Ende des Jahres vakanten EU-Topjobs besetzen soll. Offen sind die Position der EU-Außenbeauftragten und des EU-Ratspräsidenten. Sie sollten zusammen in einem Paket mit den wichtigsten Posten in der EU-Kommission vergeben werden. Nach fünf Stunden intensiver Beratungen standen die Chefs dann auf dem extra anberaumten EU-Sondergipfel in Brüssel mit leeren Händen da und versuchten sich in Erklärungen.

Als "unglücklich, aber nicht dramatisch" bezeichnete EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am frühen Donnerstagmorgen den Ausgang des Treffens. Die Zeit sei noch nicht reif gewesen für eine Einigung. Bundeskanzlerin Angela Merkel suchte nach einer eher wissenschaftlichen Erklärung. "Manche Prozesse brauchen zwei Stufen, heute haben wir die erste Stufe bewältigt", sagte sie über die vergebliche Suche nach dem europäischen Spitzenpersonal. Diese erste Stufe sei notwendig, zielführend und hilfreich gewesen. Und die zweite Stufe werde auf dem Treffen Ende August bewältigt.

Dass die Chefs keine Entscheidung treffen konnten, lag vor allem am Streit zwischen südeuropäischen Sozialisten und osteuropäischen Konservativen. Beide Lager stritten um die nach dem Kommissionspräsidenten zweitwichtigste Position in der EU: die des Außenbeauftragten. Italiens Premier Matteo Renzi habe "einen erratischen Zirkus aufgeführt, der in Italien vielleicht funktioniert, aber nicht in Europa", sagte einer der Gipfelteilnehmer danach enttäuscht.

Merkel macht Andeutungen

Über konkrete Namen habe die Runde der 28 Chefs gar nicht reden können, Van Rompuy habe keinen einzigen Kandidaten vorgeschlagen. Merkel sagte, über Namen wie den der italienischen Außenministerin Frederica Mogherini oder der dänischen Premierministerin Helle Thorning-Schmidt habe man gar nicht diskutiert.

Den Ausweg aus der Misere fand der gerade gewählte neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Als er sah, dass nichts mehr ging, habe er vorgeschlagen, allen Hauptstädten bis Ende August Zeit zu geben, ihre Kommissare zu nominieren. Dann sollten bei einem weiteren EU-Gipfeltreffen auch die beiden Topjobs vergeben werden.

Merkel deutete an, dass die neue Außenbeauftragte eine Sozialistin werden könne: "Wir brauchen eine Balance aus den Parteien, weil auch Jean-Claude Juncker mit den Stimmen verschiedener Parteien gewählt wurde." Und weil die Sozialisten die zweitstärkste Fraktion im Europaparlament stellten, falle die Außenbeauftragte mit "gewisser Automatik" an die Sozialisten.

Für die Position des Ratspräsidenten spiele die Parteifarbe keine entscheidende Rolle. "Wir brauchen als Ratspräsidenten eine Persönlichkeit, die uns 28 zusammenhalten kann", sagte Merkel. Unentwegt auch für den Ratsposten parteipolitische Betrachtungen zu machen, halte sie für falsch.

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