Gewerkschaften contra SPD:Eiszeit zwischen den Kampfgenossen

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Lange waren sie Partner, nun steuern sie wegen des Streits um die Reformpolitik der Bundesregierung auf einen Bruch zu. Gewerkschaften und Sozialdemokraten finden nicht mehr zu einer gemeinsamen Sprache.

Von Nina Bovensiepen und Dagmar Deckstein

Es ist gerade ein Jahr her, da sorgten sich Sozialdemokraten noch ernsthaft, dass ihnen mit die mächtigste unter den deutschen Gewerkschaften unter den Händen zerbröseln könnte. Heftig tobte der Kampf um die Neubesetzung der IG-Metall-Spitze, nachdem deren Chef Klaus Zwickel zurückgetreten war, um auch seinen Vize Jürgen Peters zum Rückzug zu bewegen.

Heftige Attacken reiten Arbeitnehmer-Vertreter gegen die Reformen der Bundesregierung, wie hier bei einer Demonstration der Gewerkschaft Verdi. (Foto: Foto: AP)

Diese Sorge zumindest ist verflogen, seit Peters, der neue erste Mann der IG Metall, mit anderen Gewerkschaftsgranden offen auf Konfrontationskurs zur Bundesregierung und ihrer Reformagenda gegangen ist.

Auch Verdi-Kollege Frank Bsirske und DGB-Chef Michael Sommer haben den alten Verbündeten ins Visier genommen: im Streit um die Sozialreformen attackieren die Spitzengewerkschafter die ehemalige Arbeiterpartei SPD heftig. Gemessen an seinem Anspruch sei Bundeskanzler Schröder gescheitert, hieb ihm Bsirske um die Ohren.

"Liebesentzug" für den Wahlkampf 2006 angedroht

Und Peters startete vor zwei Wochen das erste "Arbeitnehmerbegehren" gegen die rot-grüne Reformpolitik: "Jetzt ist die Zeit gekommen, die Sackgasse zu erkennen, in der Regierung und Opposition stecken", meinte er.

Pikant daran ist, dass Peters grandios mit seiner Idee gescheitert war, die ostdeutsche Metallindustrie mit der 35-Stunde-Woche zu überziehen. Heute, ein Jahr später, stimmt er der Rückkehr zur 40-Stunden-Woche bei Siemens zu.

Jetzt aber herrscht Eiszeit zwischen SPD und DGB, und die Töne werden noch schärfer. "Die Reformpolitik der Regierung ist auf ganzer Linie fehlgeschlagen", legte etwa der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt, Klaus Wiesehügel, am gestrigen Montag nach und machte keinen Hehl daraus, was er von der Politik der Bundesregierung hält: "Wer die Steuern senkt und gleichzeitig den Schwachen Sozialleistungen kürzt, kann keine Zustimmung von uns erwarten."

Einen Tiefpunkt erreicht hat das Verhältnis zwischen dem Gewerkschaftsboss Sommer und dem Kanzler. Wiederholt hat Schröder den DGB-Chef in letzter Zeit düpiert - umgekehrt droht die Gewerkschaft inzwischen der SPD mit Liebesentzug für den Wahlkampf 2006.

Noch mal eins drauf bekommen vom Kanzler

Man werde die Funktionäre nicht dafür mobilisieren können, eine Regierung zu wählen, die ihre Versprechen gebrochen hat, drohen mächtige Gewerkschafter den Bruch des traditionellen Bündnisses an. Wie die Alternative aussehen soll, wissen sie indes selbst nicht - der "pure Thatcherismus" des Duos Angela Merkel und Horst Köhler würde noch härtere Einschnitte bringen, ist Sommer gewiss.

Die Enttäuschung des DGB-Chefs über die Genossen hat in den vergangenen Wochen neue Nahrung erhalten. Empört hat Sommer zum Beispiel, wie Regierung und Arbeitgeber zunächst die umstrittene Ausbildungsumlage zu Grabe trugen und dann mit großer Geste einen unverbindlichen Pakt für mehr Lehrstellen unterzeichneten.

Gesprächsangebote der Gewerkschaft, daran mitzuwirken, seien unbeantwortet geblieben. "Die Arbeitgeber haben vorgeführt, wer in diesem Land die politische Macht hat", heißt es frustriert. Nur kurze Zeit später bekam Sommer vom Kanzler noch mal eins drauf, als dieser sich ein "Friedensangebot" des DGB-Chefs verwehrte.

Sommer hatte Schröder in dem Brief dazu aufgefordert, die Arbeitsmarktreformen zu korrigieren. Im Gegenzug bot er an, auf einen sanfteren Kurs gegenüber der Regierung einzuschwenken. Der Kanzler bürstete Sommer öffentlich ab, ohne weiter auf das Angebot einzugehen.

Varianten in der Rhetorik

Nicht nur der Kanzler tut sich in letzter Zeit mit den Gewerkschaften schwer. Selbst der linke Parteiflügel geht mit den Vorstellungen der Gewerkschaften nicht mehr konform.

Diese hätten den Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt noch nicht begriffen, kritisiert etwa SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. Statt konstruktiv an den Veränderungen mitzuwirken, hingen IG Metall und Co. in der Rhetorik von vor 20 Jahren fest.

Die Rhetorik weist aber eine gewisse Variationsbreite auf. Was alles "mit uns nicht zu machen" ist, das kann zwischen den noch verbliebenen acht Einzelgewerkschaften unterm Dach des DGB von Fall zu Fall variieren. Zwar stellen IG Metall und Verdi mit ihren 5,12 Millionen Mitgliedern fast zwei Drittel aller organisierten Arbeitnehmer.

Aber die Kleineren legen Wert auf die Feststellung, das Prinzip der Einheitsgewerkschaft bedeute keineswegs, dass alle eine Einheitsmeinung vertreten.

Warnung vor einer informellen großen Koalition

So hat etwa der Kanzler-Vertraute Hubertus Schmoldt, Chef der 700.000 Mitglieder starken IG Bergbau, Chemie, Energie erst letzte Woche in einem Rundfunkinterview laut und deutlich zur Schröderschen Reformagenda gesagt:

"Ich glaube nicht, dass er seinen grundsätzlichen Reformkurs verlassen muss, auch darf, denn das würde ja eine Glaubwürdigkeitsdebatte auslösen und insgesamt dem Reformprozess schaden."

Für Krawallkurse jeder Art ist die moderate Chemiegewerkschaft ohnehin seit mehr als 20 Jahren nicht mehr zu haben.

Auch Franz Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten sekundiert Schmoldt und warnt vor der sich abzeichnenden Alternative: "Eine informelle große Koalition, nachdem Unionsfraktionsvize Friedrich Merz dem Bundeskanzler ein Bündnis gegen den DGB angeboten hat? Das kann es ja nicht sein; wir wollen mit der Bundesregierung weiter im Gespräch bleiben."

Das hieße natürlich nicht, betont der Chef der 230.000-Mitglieder-Gewerkschaft, "dass wir nicht auch unsere Kritik an der Reformagenda hätten".

© SZ vom 29.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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