Corona-Krise:Jetzt bloß keine hektische Verfassungsänderung

Deutschland, Berlin, Bundestag, Abstandsregel f¸r Abgeordnete, 24.03.2020 *** Germany, Berlin, Bundestag, distance rule

Abstandsregel im Bundestag: Die weißen Zettel markieren die auszulassenden Plätze in der heutigen Sitzung

(Foto: Christian Thiel/imago images)

Angesichts der einschneidenden Maßnahmen der Regierung ist die Kontrolle durch den Bundestag wichtiger denn je.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Krisen sind die Stunde der Exekutive, heißt es allenthalben. Und tatsächlich richten sich derzeit alle Augen auf die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten. Es sind sie, die all die Maßnahmen zur Eindämmung des Coranavirus verkünden. Doch Krisen müssten erst recht eine Stunde der Legislative sein. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurden derart einschneidende Maßnahmen für den Alltag von Bürgern und Betrieben beschlossen wie in diesen Tagen. Es war deshalb noch nie so wichtig, dass staatliches Handeln auch von Abgeordneten kontrolliert und in Parlamenten öffentlich diskutiert wird. Die Abgeordneten sind die gewählten Vertreter der Bürger, nicht die Minister.

Wie bedeutsam es ist, diese Gewaltenteilung auch einzufordern, zeigt sich gerade in Ungarn. Dort nutzt der Ministerpräsident die Corona-Krise, um das Parlament weitgehend zu entmachten. Nein, Angela Merkel ist natürlich kein Viktor Orbán. Und niemand in der Bundesregierung will die Gewaltenteilung schleifen. Aber der Fall zeigt, wie wichtig es ist, die Rechte der Parlamente immer und überall zu verteidigen.

Ja, man verlange gerade maximales Vertrauen von den Abgeordneten, heißt es in der Regierung. Aber dafür gebe man auch maximale Transparenz. Richtig daran ist zumindest, dass die Fachpolitiker der Fraktionen in der vergangenen Woche in die Beratungen über die Gesetzentwürfe einbezogen wurden, die an diesem Mittwoch vom Bundestag beschlossen werden sollen. Aber Transparenz für einige kann nicht die Kontrolle der Regierung durch den gesamten Bundestag ersetzen.

Über das Vorliegen einer Notlage muss der Bundestag entscheiden, nicht die Regierung

Es ist deshalb gut, dass die Fraktionen nicht auf den Vorschlag eingegangen sind, wegen der Corona-Krise das Grundgesetz zu ändern, um ein kleines Notparlament einrichten zu können - ähnlich dem, das im Verteidigungsfall eingesetzt werden kann. In einem derart sensiblen Bereich darf man nicht hektisch die Verfassung ändern. Das gilt erst recht, wenn es auch weniger schwerwiegende Eingriffe gibt, mit denen man die Arbeitsfähigkeit des Parlaments erhalten kann. Der Bundestag will jetzt die Grenze für seine Beschlussfähigkeit von 50 auf 25 Prozent der Abgeordneten herabsetzen. Dadurch wird das Parlament auch dann noch handlungsfähig sein, wenn viele Abgeordnete wegen Krankheit oder Quarantäne nicht mehr nach Berlin fahren können.

Begrüßenswert ist auch der Einsatz der Fraktionen von FDP, Grünen und Linken gegen zu weitgehende Notrechte der Regierung. Auch hier gilt es, den Anfängen zu wehren. Das Kabinett hat am Montag beschlossen, dass die Regierung im Alleingang entscheiden können soll, wann eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" vorliegt. Und dass die Bundesregierung in einer solchen Notlage sehr weitreichende Durchgriffsrechte bekommt. Die drei Oppositionsfraktionen haben der Koalition jetzt abgerungen, dass über das Vorliegen der Notlage der Bundestag entscheidet. Und dass es auch an ihm ist, die Notlage wieder aufzuheben.

Ärgerlich ist dagegen das Verhalten der Unionsfraktion. An diesem Mittwoch geht es im Bundestag um das teuerste Gesetzespaket in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber die Abgeordneten von CDU und CSU trafen sich vorher weder zu einer physischen, noch zu einer digitalen Fraktionssitzung, um über die Gesetze zu beraten. Manche Abgeordnete verzwergen sich auch selbst.

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